Table of Contents Table of Contents
Previous Page  1828 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 1828 / 9133 Next Page
Page Background

430

[357/358]

Religion ist vor Sittlichkeit — durch jene Vermittlungen hindurch.

Fassen wir als weiteres Beispiel die Wirtschaft ins Auge, so ist es

wieder nicht die Religion selbst, nicht die Frömmig- / keit, son-

dern die aus der Frömmigkeit (vermittelt) folgende S i t t l i c h -

k e i t , welche das wirtschaftliche Leben gestaltet, beherrscht; es ist

ferner nicht unvermittelt die Religion, sondern das aus der Sittlich-

keit folgende R e c h t , welches das Staatsleben beherrscht und so

fort.

Will man mit der Erklärung des geschichtlichen Lebens nach den Vor-

rängen Ernst machen, dann ist die genaue Beachtung der Vermittlungen uner-

läßlich. A n d e r n f a l l s i s t e i n k l ä g l i c h e r S p i r i t u a l i s m u s d i e

F o l g e . Die geschichtliche Wirklichkeit aber hat Fülle.

Stets also haben a l l e anderen Teilganzen der Gesellschaft, haben alle Be-

reiche des Lebens innerhalb ihrer Rangstellung und ihres Leistungskreises (ihrer

Gliedhaftigkeit) ihr a r t e i g e n e s Leben, ihre vita propria. Es hat also zwar

jede Sphäre ihr ursprüngliches Leben, aber jedes ursprüngliche nur als Eigen-

leben (vita propria) eines arteigenen Gliedes der Ganzheit — weshalb sich sein

arteigener Vorrang niemals überspringen läßt.

In diesem organhaften Sinne kann man sogar sagen, daß selbst die Wirt-

sdiaft (obwohl sie nur ein System der Mittel ist) ebenso arteigen sei wie der

Staat oder die Religion. Aber beide „Arteigenheiten“ oder „Ursprünglichkeiten“

s t e h e n a l s G l i e d e r a n a n d e r e r S t e l l e i m G a n z e n , beide

haben darum auch eine ganz andere Wesensart, anderen Vor- und Nachrang.

Gerade darum ist die wirtschaftliche Arteigenheit niemals die höchste führende;

gerade darum kann sie auch niemals das Erste in der Geschichte sein — wie die

materialistische Geschichtsauffassung grundsätzlich will und wie so viele moderne

Geschichtsschreiber es von Fall zu Fall annehmen möchten. Das wirtschaftliche

„Motiv“ ist, anders gesagt, doch immer ein Motiv innerhalb des Lebensganzen,

innerhalb des ganzen Geistesgehaltes einer Kultur, in dem es als nur dienendes

Glied auftreten kann.