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jene Kultur rasch anzueignen vermögen. Hunnen würden Römer sklavisch unter-

werfen und berauben, aber eine Staatsbildung wäre bei solcher Vernichtung

nicht möglich. Goten werden gierig nach der sie fördernden Vergemeinschaftung

mit den Unterworfenen greifen.

Die O s t g o t e n wollten im römischen Staate herrschen (das heißt in einem

staatlichen Organismus eine Sonderstellung einnehmen), von dessen geistigen

Säften sie sich ernähren wollten. Denn sie wollten sich ja assimilieren nach

Theodorichs Plan. — Darin lag ihre Schwäche, darum mußten sie bei jedem

kräftigen Ansturme von außen untergehen. Wer ihre Geschichte verfolgt, findet,

daß ein selbstbewußtes, ein eigenes, sondergestellt gebliebenes Gotentum schwer-

lich dem Kaiser Justinian unterlegen wäre.

Wie falsch auch die Vorstellungen vom o r i e n t a l i s c h e n S t a a t a l s

e i n e m d e s p o t i s c h e n sind, darüber belehrt uns die bei Persern und Me-

dern gültige strenge, der griechischen überlegene Sittenlehre des Zarathustra,

belehrt uns das wohlausgebildete, großartige Verwaltungssystem des Perser-

reiches

1

und darüber belehrt uns deutlich auch Herodotos, der von den Persern

sagt: „Keiner, selbst der König nicht, darf einen Menschen willkürlich um eines

Vergehens willen umbringen lassen, und der Perser darf nicht einmal einen

seiner Knechte zu hart behandeln um eines Vergehens willen. Sondern erst

wenn er nach reiflicher Überlegung findet, daß seiner Sünden mehr sind als

seiner Verdienste, darf er an ihm seinen Zorn auslassen.“

2

Geschichtliche Staaten also können durch Unterwerfungskämpfe entstehen,

aber ihr Bestand richtet sich sofort auf Gezweiung ein. Der S t a a t i s t s e i -

n e m B e g r i f f e n a c h n i e m a l s K l a s s e n s t a a t , er beruht nicht auf

Knechtung (wenn sie auch in ihm vorkommt), sondern geistige und werkmäßige

Vergemeinschaftung sind die ursprünglichen, die wesenhaften Vorgänge, welche

der Staat gestaltet. Zu e i n e m g e m e i n s c h a f t s g e s t a l t e n d e n V o r -

g a n g m u ß s i c h a l l e A n w e n d u n g v o n U n t e r w e r f u n g s - u n d

K n e c h t u n g s g e w a l t v e r w a n d e l n — sofern sie wirklich zu „Staat“

wird, zur Staatsbildung führt und / nicht zu bloßer hunnischer Versklavung und

— Selbstvernichtung! Die rohe Gewalt ist für den Sieger nur die Grundlage zur

Staatsbildung, nicht selber der Staat. Das beweist gerade das verschiedene Ver-

halten der verschiedenen Sieger. Tritt der Sieger einem kulturell minderwertigen

Besiegten gegenüber, so kann er ihn zu einem Werkzeug im Staate herabsinken

lassen, wobei er aber selbst verarmt. Tritt er einem geistig und kulturell über-

legenen Besiegten gegenüber, so wird dieser zum inneren Beherrscher der Ge-

meinschaft.

Von allen Zwischenformen, die zwischen diesen beiden Endpunkten liegen,

ist die wichtigste

2 . D e r K a s t e n s t a a t

Er stellt in seinem Wesen ein Staatensystem dar, in dem die Angehörigen

jeder Kaste zuerst für sich einen Staat, und die Kasten als solche abermals einen

übergeordneten Zusammenhang miteinander bilden, das heißt G l i e d e r e i n e s

U b e r s t a a t e s , eines Überganzen sind. Der beherrschende Zusammenhang

1

Johann Gustav Droysen: Geschichte Alexanders des Großen, 2

.

Aufl., Gotha

1877.

2

Herodotos: Historiarum (Historien) libri IX, liber I, 137.