[41/42]
55
z u s t e i g e n . Jedoch kann das hier nicht näher ausgeführt werden.
Werden die E i n g e b u n g u n d d i e G e z w e i u n g zur Grundlage der Seelenlehre
gemacht, wie ich das in meinem Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes
1
, zeigte, dann ergibt
sich von selbst der o b j e k t i v e G e i s t e s i n h a l t der Kultur als die Grundlage des
s u b j e k t i v e n G e i s t e s und demgemäß: die G e s e
11
s c h a f t s
1
e h r e als die
G r u n d l a g e d e r S e e l e n l e h r e . Die seelischen Vorgänge sind im Ich, das Ich ist im
objektiven Geiste (kraft der Gezweiung) rückverbunden.
/
Ein weiterer Irrtum Simmels und seiner Schule liegt in seinem F o r m beg r i f f . Simmel
stellt die „Inhalte“ der Wechselwirkungen den „formalen“ Gesetzen derselben entgegen. Jene
sollen den Gegenstand der bisherigen besonderen Sozialwissenschaften, diese den der
Soziologie bilden. Gerade diese Gegenüberstellung von Form und Inhalt ist aber durchaus
nicht zur Begründung einer Soziologie als besonderer Gesellschaftswissenschaft geeignet.
Denn sobald einmal eine Wissenschaft Gesetze aufstellt, sobald sie überhaupt theoretisch ist,
wird sie „formal“. Alle Gesellschaftswissenschaften sind, nimmt man Simmels Formbegriff
überhaupt an, „formaler“ Natur. Die „Gesetze“ der klassischen Volkswirtschaftslehre z. B.
sind „formal“. Das „Gesetz“ von Angebot und Nachfrage sagt über die „Inhalte“ der Angebote
nichts aus.
Der g a n z e G e s i c h t s p u n k t S i m m e l s e r w e i s t s i c h d a h e r a l s
u n r i c h t i g . Wenn Simmel in seinen geistvollen (wenn auch dazwischen feuilletonistisch
gefärbten) Einzeluntersuchungen oft zu echt gesellschaftswissenschaftlichen (nicht nur
psychologischen) Zergliederungen kommt, so ist das nur möglich, weil er sich
methodologisch nicht treu bleibt. Vieles davon hatte schon S c h ä f f l e in seiner
„vergleichenden Organisationslehre“, „Lehre von den Massenzusammenhängen“, in seiner
„sozialen Raum- und Zeitlehre“ behandelt
2
.
Von Simmel und seiner Schule wie von den Psychologisten gilt, daß sie erst in dem
Augenblicke wirkliche Gesellschaftslehre betreiben, wo sie die „psychischen
Wechselbeziehungen“ beiseite lassen und die gesellschaftlichen Ganzheiten untersuchen.
1
Jena 1928, S. 205 ff. (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 3).
2
Vergleiche Albert Schäffle: Bau und Leben des sozialen Körpers, Bd 1: Allgemeine
Soziologie, S. 89 ff. und 157 ff., Bd 2: Spezielle Soziologie, S. 95 ff. und öfter, 2. Aufl.,
Tübingen 1896.