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T h e o d o r L i t t : Individuum und Gemeinschaft (1919), 3. Auflage, Leipzig 1926, hält
trotz Annäherung an den Idealismus und Universalismus doch die Wechselwirkungen
aufrecht
1
.
Endlich wäre an dieser Stelle auch Max S c h e l e r zu nennen, der von rein
psychologischen Untersuchungen (über die Sympathiegefühle), auf der Grundlage der
sogenannten Phänomenologie ausging, sich später aber immer mehr der Soziologie zuwandte
und eine der Richtung Simmels verwandte Lehre zu begründen suchte. Der Formalismus in
der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1916; Die Wissensformen und die Gesellschaft,
Soziologie des Wissens, Leipzig 1926
2
.
Simmel leugnet die Möglichkeit, die Gesellschaft als solche einer
eigenen wissenschaftlichen Betrachtungen zu unterziehen; er will die
Soziologie lediglich als neue soziale Einzelwissenschaft gelten lassen. Und
zwar sieht er ihre Aufgabe in der Schaffung einer „ L e h r e v o n d e n
s o z i a l e n F o r m e n“, das heißt „in der Feststellung, systematischen
Ordnung, psychologischen Begründung und historischen Entwicklung der
reinen Formen der Vergesellschaftung“
3
. Gegenstand der Soziologie sind
„die
formalen
Gesetze
des
wechselweisen
Wirkens
oder
Vergesellschaftens“
4
.
Solche Formen der Vergesellschaftung sind nach Simmel: Über- und Unterordnung,
Konkurrenz, Nachahmung, Arbeitsteilung, Vertretung, Parteibildung, Gleichzeitigkeit des
Zusammenschlusses nach innen und des Abschlusses nach außen, quantitative Bedingtheit
der Gruppen. Diese Formen sind den verschiedensten sozialen Gruppierungen gemeinsam.
Der Erforschung der „Inhalte“ hingegen, die sich dieser Form bedienen, haben sich nach
Simmel die bisherigen gesellschaftlichen Einzelwissenschaften bemächtigt, welche dadurch
die gesellschaftlichen Erscheinungen so unter sich aufgeteilt haben, „daß eine Soziologie, die
die Totalität dieser Erscheinungen ... umfassen wollte, sich als nichts anderes ergeben konnte,
denn als eine Zusammenfassung jener Wissenschaften“
5
.
An diesen Gedanken ist zweierlei auseinander zu halten:
1.
Der / Begriff der „sozialen Form“, von dem klar ersichtlich, daß er
schließlich nichts anderes als die psychische Wechselwirkungsweise, und
zwar der Einzelnen, ist;
2.
die Behauptung, daß es Gesellschaft als solche nicht gebe. Dieser
letztere Gedanke ist der wichtigste, den Simmel geltend macht, wir wollen
ihn darüber ausführlicher hören.
1
Siehe unten S. 64.
2
Gegen Schelers Lehre von der Gleichursprünglichkeit siehe unten S. 77 und öfter und
die Vorrangsätze, S. 426 ff. und öfter.
3
Georg Simmel: Soziologie, Leipzig 1908, S. 9.
4
Georg Simmel: Soziologie, Leipzig 1908, S. 17.
5
Georg Simmel: Soziologie, Leipzig 1908, S. 9.