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Erst J o h a n n G o t t l i e b F i c h t e gelingt es, das eine Individuum aus dem anderen

zu begründen. Sobald man, sagt er, den Begriff des Menschen „vollkommen bestimmt, wird

man vom Denken eines einzelnen aus getrieben zur Annahme eines andern, um den ersten

erklären zu können .. Ebenso gelingt es ihm, das Sittengebot aus einer objektiven,

überindividuellen Ordnung herzuleiten: „Handle nach deiner Bestimmung!“ Das deutet auf

eine sittliche Weltordnung, auf ein Über-Dir, das gleich der platonischen Ideenwelt über

Gemeinschaft und Einzelnen steht. In der „Anweisung zum seligen Leben“

2

und in den

„Reden an die deutsche Nation“

3

erreicht Fichte die Durchführung dieser universalistischen

Gemeinschaftsidee in der Sittenlehre und Staatslehre wenig- / stens in einigen

entscheidenden Punkten, aber es war ihm nicht vergönnt, planmäßig ein klares System des

objektiven Idealismus in der Staatslehre zu entwickeln.

Dasselbe gilt von S c h e l l i n g

4

. Erst H e g e l

5

gelang es, ein völlig durchgebildetes

Begriffsgebäude aufzustellen. Hegel geht vom Überindividuellen als dem „objektiven Geiste“

aus, der sich stufenweise als Familie, bürgerliche Gesellschaft (zugleich die Wirtschaft

enthaltend) und Staat aufbaut. Der Staat ist die höchste Stufe und befaßt daher alle früheren

in sich. — Hegels Staat ist aber nicht mehr wie der Platons theokratisch.

Den Begriff der Gemeinschaft als Uber-Dir und als geistigen Organismus hat wohl mit

größter Klarheit im deutschen Idealismus

Franz von Baader

erfaßt, jedoch hat er kein

planmäßiges Begriffsgebäude der Sitten- und Staatslehre entwickelt, sondern leider nicht viel

mehr als tiefblickende Aphorismen gegeben

6

, die nur der zu verstehen vermag, der schon das

ganzheitliche Kategoriengebäude beherrscht.

1

Johann Gottlieb Fichte: Sämtliche Werke, herausgegeben von Immanuel Hermann

Fichte, 3 Abteilungen, 8 Bde, Bde 3 und 4: Zur Rechts- und Sittenlehre, aus Bd 3: Grundlage

des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796), Berlin 1845, S. 39;

Neuausgabe von Fritz Medicus, Leipzig 1922, S. 43 (= Philosophische Bibliothek, Bd 128 a).

Im Ganzen aber steht Fichte hier noch auf dem Boden der Kantischen Staatslehre. Vgl. dazu

Johann Gottlieb Fichte: Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben von Hans

Riehl, Teil 1: Reden an die deutsche Nation, besonders die Einleitung, S. 41 ff., Teil 2: Die

drei Schriften über den Gelehrten, Jena 1928 und 1929 (= Die Herdflamme, Bd 15).

2

Johann Gottlieb Fichte: Anweisungen zum seligen Leben (1806), neu herausgegeben

und eingeleitet von Fritz Medicus, 2. Aufl., Leipzig 1921 (= Philosophische Bibliothek, Bd

131 b).

3

Fichte: Reden an die deutsche Nation, Berlin 1807—08, vgl. die Ausgabe von Hans

Riehl.

4

Friedrich Wilhelm Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen

Studiums, Tübingen 1802; Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, ausgewählt von Manfred

Schröter, Jena 1926 (= Die Herdflamme, Bd 12).

5

Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, Teil 1:

Philosophie des Geistes und Rechtsphilosophie, ausgewählt von Alfred Baeumler, Jena 1927

(= Die Herdflamme, Bd 11). Uber Fichte, Schelling und Hegel siehe auch unten S. 261 ff.;

ferner mein Buch: Gesellschaftsphilosophie, München 1928, S. 34 ff.

6

Vgl. Franz von Baader: Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben von

Johannes Sauter, Jena 1925 (= Die Herdflamme, Bd 14).