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r i c h v o n T r e i t s c h k e , indem er der Wissenschaft der Politik und überhaupt den
Staatswissenschaften jene Aufgabe zuschrieb, welche der neue Lehrzweig für sich in
Anspruch nahm; während später namentlich durch die sozialistischen Schriftsteller sowie
durch die g e s c h i c h t l i c h e Schule in der Rechts- und Volkswirtschaftslehre, ferner
durch die Rechtsphilosophien von A h r e n s , K r a u s e , S t a h l der so gefaßte Begriff
der „Gesellschaft“ in das volkswirtschaftliche Schrifttum eindrang. — Diese
Gesellschaftslehre sollte auch eine „Gesellschaftszweckmäßigkeitslehre“ in sich schließen,
was später von großer Bedeutung für das Aufkommen der S o z i a l p o l i t i k (das heißt ja
wörtlich: Gesellschaftspflege) war. — Dieser „Versuch einer Gesellschaftslehre“ war
keineswegs unfruchtbar. In ihm stecken, wie man auch sonst darüber denken mag,
bedeutsame Gesichtspunkte. S c h ä f f l e hat die Tatsachen, welche Stein und Mohl ins
Auge faßten, als ideelle Verbindung der Menschen schlechthin, das ist als
„Massenzusammenhänge“ bestimmt und so seiner Soziologie eingegliedert
1
. Die
Stein-Mohlische „Gesellschaftslehre“ war also nichts Phantastisches, sondern hat dauernde
Wirkungen auf die deutsche Wissenschaft ausgeübt; der systematische Gedanke aber, auf
dem sie beruhte, war zu unklar, um zu dauern.
Vergleiche zu dieser Frage: G e o r g W i l h e l m F r i e d r i c h H e g e l :
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundriß, Faksimile-Druck der
ursprünglichen Fassung von 1817, mit einem Vorwort von Herman Glockner, Stuttgart 1927;
Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, Teil 1: Philosophie des Geistes und
Rechtsphilosophie, herausgegeben von Alfred Baeumler, Jena 1927 (= Die Herdflamme, Band
11). L o r e n z v o n S t e i n : Der Sozialismus und Kommunalismus des heutigen
Frankreich, Leipzig 1842; System der Staatswissenschaften, Band I: System der Statistik, der
Populationistik und der Volkswirtschaftslehre, Band II: Die Gesellschaftslehre, Stuttgart
1852 und 1856. R o b e r t v o n M o h l : Die Geschichte und Literatur der
Staatswissenschaften, 3 Bände, Band 1, Erlangen 1855. H e i n r i c h v o n
T r e i t s c h k e : Ge- / sellschafts- wissenschaft, Leipzig 1859. K a r l D i e t z e l : Die
Volkswirtschaft und ihr Verhältnis zu Staat und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1864.
VI.
Neuere Verfasser
Eine stets wachsende Zahl heutiger Verfasser lehnt das
naturwissenschaftliche Verfahren, wenn auch nicht immer klar bewußt
und entschieden, ab und kommt dadurch zu einer mehr oder weniger rein
geisteswissenschaftlich angelegten Gesellschaftslehre.
Das
ganze
große
n e u h e g e l i s c h e ,
n e u f i c h t i s c h e ,
n e u s c h o l a s t i s c h e , z u m T e i l a u c h n e u k a n t i s c h e S c h r i f t t u m ,
besonders auch das r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e hier zu nennen, würde zu weit führen.
Wir beschränken uns auf einige wenige Angaben vorwiegend soziologischer Werke:
T h e o d o r L i t t , der sich in den letzten Auflagen seines Werkes: Individuum und
Gemeinschaft, zum Teil Hegel, zum Teil aber auch dem Verfasser dieses Buches annäherte,
und Max S c h e l e r wurden schon in anderem Zu
1
Siehe unten S. 461.