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s e l l i g k e i t s f o r m c n , nach der wirtschaftlichen Seite hin im L e h r l i n g s - ,
F a c h s c h u l - u n d A u s s t e l l u n g s w e s e n , sogar im Werbewesen; nach
der religiösen und künstlerischen Seite hin im A n s t a l t s w e s e n d e r R e -
l i g i o n u n d K u n s t .
D a s g e s a m t e A n s t a l t s w e s e n d e r G e s e l l s c h a f t e r f ü l l t
z u g l e i c h e r z i e h e r i s c h e A u f g a b e n . Unterlage dieses Anstaltswesens
sind überall die
ständischen Gebilde
und Lebenskreise. Damit ist auch die e n t -
s c h e i d e n d e B e d e u t u n g d e s s t ä n d i s c h e n G e m e i n s c h a f t s -
l e b e n s f ü r d i e E r z i e h u n g gekennzeichnet.
Die Erziehung ist, soweit sie mit Elementen des Logischen, Ethischen, Ästhe-
tischen, Religiös-Metaphysischen notwendig verbunden ist, apriorischen Auf-
baues; aber auch nur insoweit; soweit nicht, ist sie praktische Lehrkunst auf
psychologischer und physiologischer Grundlage.
In ihrer Eigenschaft als Vorgang der A n g l e i c h u n g (Assimilation) neuer
Empfindungs- und Handlungsträger an eine schon vorhandene Welt von Emp-
findungen und Handlungen hat die Erziehung dieselbe Bedeutung wie W e r -
b u n g und W e r t e n t l e h n u n g : sie ist ein Vorgang der Vereinheitlichung.
Daß es dabei nicht bleibt, sahen wir zuvor.
Die Z u w a n d e r u n g erfordert Angleichung nicht junger, sondern älterer
Menschen als „Assimilation“, welche namentlich in Fällen völkischer Verschieden-
heit wichtig ist und den Übergang vom bloßen Ersatzvorgang zur Werbung
bildet.
III. Vom Erziehungsideal
Die heutige Erziehung glaubt, jeden durch Vermittlung gewisser Kenntnisse
auf eine gleiche Höhe der Bildung bringen zu können, und ihre Frage ist daher,
wie gezeigt, nur jene der Unterrichtstechnik, die Frage: Wie vermittle ich die
größtmögliche Summe von Kenntnissen auf die einfachste Weise?
Damit wird aber das Wesentliche der Erziehung verfehlt: das B i l d u n g s -
i d e a l , zu dem erst als das Abgeleitete die Unterrichtstechnik hinzutritt. Die
erste Frage der Erziehung muß sein: Wozu bilde ich den Zögling? Welches Er-
gebnis der Bildung vermittle ich, das — außer bei einer fachlichen Erziehung —
niemals in der Vermittlung der Kenntnisse, sondern in der Schöpfung der Seele
bestehen muß! Eine Zeit, die kein Bildungsideal hat, wie die unsere, sondern nur
ein Wissensideal, kann darum auch nicht erziehen. Nie war die Erziehung ein
solches kulturloses Chaos wie heute, wo man sogar die Religion durch Moral-
unterricht ersetzen will.
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Ein weiterer Grundirrtum ist, daß man glaubt, unvermittelt zum Ziele kom-
men zu können. Man muß aber innere S t u f e n des Erziehungsideals selbst
(nicht bloß des Wissensstoffes) durchlaufen. Zuerst soll auf dem Grunde der
Frömmigkeit und einem Wege der Reinigung (via purgativa) der heldische Geist,
der Geist der Tapferkeit, geweckt werden, dann erst ist es an der Zeit, zum
Geiste der Weisheit und schließlich der Heiligkeit hinzustreben. Wissensbildung
ohne Charakterbildung, ohne Weckung des metaphysischen Sinnes und ohne die
Erlernung der Kunst der Sammlung ist nicht möglich
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Darüber mehr in meinem Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena
1928, unter „Lebenskunst“, S. 250 ff. (= Ergänzungsbände zur Sammlung
Herdflamme, Bd 3).