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(denn diese Begriffe sind nur in ihrer Anwendung politischer und

ethischer Art, an sich sind sie reine Wesensbegriffe, Baugesetze der

Gesellschaft);

(2) in ihrer Eigenschaft als Theorie des materialen Gesellschafts-

begriffes, das heißt des Ausgliederungsinhaltes, legt sie den Grund

zur Sonderung unseres Wissens von der Gesellschaft in Einzelwissen-

schaften und ist damit:

Erstens die Theorie aller Teilganzen (Objektivationssysteme) und

Stufen und

zweitens die allgemeine Theorie oder „Prinzipienlehre aller so-

zialen Einzelwissenschaften“.

Die allgemeine Gesellschaftslehre kann kein Objektivationssystem übergehen:

die Grundbegriffe sämtlicher gesellschaftlichen Einzelwissenschaften müssen also

d i e s e l b e n sein, denn sie liegen alle in der allgemeinen Gesellschaftslehre,

und man stößt entweder sogleich auf sie, oder wenn man tiefer geht. Das Wich-

tigste hierbei ist, wie oben bemerkt, daß nicht von allen Teilganzen eigene Ein-

zelwissenschaften gebildet werden können. Für diese Teilganzen bietet die all-

gemeine Gesellschaftslehre daher die einzige soziologische Lehre und Betrach-

tung dar, und zwar bildet sie in dieser ihrer Eigenschaft als allgemeine Theorie

des materialen Gesellschaftsbegriffes folgende Zweige aus: Gesellschaftslehre der

Wissenschaft, Kunst und Religion (das heißt sie behandelt Wissenschaft, Kunst

und Religion, sofern sie gesellschaftliche Erscheinungen sind, nicht dagegen als

Logik, Ästhetik, Metaphysik); Gesellschaftslehre der Sprache (desgleichen als

gesellschaftliche Erscheinung, nicht als Grammatik); Gesellschaftslehre der

Organisation oder des Verbandswesens, insbesondere des Staates. Die allgemeine

Staatstheorie ist daher keine selbständige Wissenschaft, sondern durchaus ein

Teil der Organisationslehre und ohne diese unverständlich; als Staatstheorie ist

die Organisationslehre nicht nur Verbandslehre, sondern auch Einheitstheorie der

Gesellschaft (Staat = Verband und Einheitserscheinung); ferner gesellschaftliche

Normen- oder Satzungslehre, insbesondere gesellschaftliche Rechtslehre. Die Ge-

sellschaftslehre des Rechtes ist daher keine selbständige Wissenschaft, sondern

durchaus ein Teil der Gesellschaftslehre, und zwar nicht nur Normenlehre (Sat-

zungslehre) selbst, sondern wieder, wie beim Staate, zugleich Theorie einer Ein-

heitserscheinung der Gesellschaft (erst die systematische Rechtswissenschaft ist

selbständige Wissenschaft); endlich die Lehre vom Handeln der Bündnisse (Hilfs-

handeln höherer Ordnung, wie ich es nannte) oder t h e o r e t i s c h e P o l i t i k .

Theoretische Politik ist daher ebensowenig eine selbständige Wissenschaft wie

die Soziologie des Staates und des Rechtes, sondern nur als Teil der Gesellschafts-

lehre zu behandeln

1

.

An die Gesellschaftslehre reihen sich nunmehr die selbständigen

besonderen Gesellschaftswissenschaften oder gesellschaftlichen Ein-

zelwissenschaften an, die zwar, wie ausgeführt, ihre letzte theoreti-

sche Grundlegung in der allgemeinen Gesellschaftslehre finden müs-

1

Über Sittenlehre siehe unten S. 640 f. und 653.