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den Begriff Gottes nicht erreichen, weil es in endlichen Formen befangen ist,

so kann es auch das Gemüt nicht. Denn woher sollte das Gemüt in anderem als

in Sinnlich-Endlichem befangen sein? Die Entstehung des Gottesgefühles im

Bereiche des weltlichen Gemütes wäre ebenso unbegreiflich wie die Entstehung

des Gottesgedankens im Bereiche des endlichen Denkens. Kann der Gedanke im-

mer nur Endliches denken, so muß auch das Gefühl immer nur Endliches fühlen

können. Daß das Gottesgefühl ist, widerlegt daher jene Ansicht ebenso, wie daß

der Gottesgedanke ist. Indem das Gemüt die Gottheit fühlt und berührt, hat es

sich dem Sinnlichen entwunden; inmitten des Sinnlichen ist das Übersinnliche

in ihm erschienen. Unmöglich, daß der Gottesgedanke und das Gottesgefühl über-

schwengliche Erzeugnisse des Bedingten wären, bezeugen sie vielmehr das Unbe-

dingte im Bedingten, das Übersinnliche inmitten des Sinnlichen.

/

Aber nicht nur für das Gemüt, auch für die Kunst gilt das gleiche.

Niemand wird leugnen, daß sie eine wesentliche Äußerung des

menschlichen Geistes sei. In der höheren Kunst herrscht überall das

Metaphysische. In der Musik wird das Göttliche allgemein aner-

kannt. Wären Bach, Händel, Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven,

Schubert ohne den Klang des Überirdischen denkbar? Die Kunst

darf also Gott aussprechen, nur die Wissenschaft dürfte es nicht?,

nur die Logik sollte Gott als ihr wesensfremd ausscheiden? Gedan-

ken über Gott werden religiöse Schwärmerei genannt, aber niemand

würde wagen, eine große Messe von Beethoven, ein Credo von Schu-

bert, eine Passion von Bach „Schwärmerei“ zu nennen.

Diese Übertragungen ließen sich noch erweitern, doch wollen wir

nicht ins Weite gehen. Es genügt, daß wir zeigten, der ganze mensch-

liche Geist sei von der Gottesidee durchdrungen.

Freilich wird der niedrige und leere Mensch aus Mozarts Musik ebensowenig

das Göttliche heraushören wie aus Platons Philosophie. Zur höheren Kunst wie

zum höheren Denken gehört überall Begabung.

Man ersieht hieraus, daß die Gegenüberstellung von Bedingtem

und Unbedingtem, von Sinnlichem und Übersinnlichem, von Welt

und Gott keineswegs in dem Sinne geschehen darf, als wäre das

Unbedingte dem Bedingten, das Übersinnliche dem Sinnlichen

durchaus fremd und es überfliegend! Das Ü b e r s i n n l i c h e

m u ß m i t t e n i m S i n n l i c h e n , d a s U n b e d i n g t e

m i t t e n i m B e d i n g t e n w o h n e n , da wir es überall im

menschlichen Denken und Tun lebendig finden. Gerade weil es rich-

tig ist, daß nicht das Sinnliche und Endliche in unserem Denken

auf Gott übertragen werden kann, gerade darum muß es das Über-

sinnliche im Denken sein, das uns zu dem Begriffe Gott führt. Und