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nen Dingen erscheinend gefaßt, daher für jedes einzelne Ding eine

Idee angenommen wird (Aristotelisch und neuplatonisch); dies er-

scheint (c) dadurch ermöglicht, daß sie in Gott verlegt und als die

Gedanken Gottes gefaßt werden

1

.

Die Geschichte der Ideenlehre zeigte uns eine immer größere

Entfernung von ihrem religiösen Urgrunde. Dieser, wie er sich oben

ergab

2

, verlangt zuerst die Jenseitigkeit der Idee. Die sich einge-

benden Gesichte müssen zugleich schaffende Gesichte, schaffende

Mächte sein. Ist das ohne alle Jenseitigkeit möglich? Gesichte, Ideen,

so dürfen wir sagen, die nur und ausschließlich einwohnend sind,

wie die Aristotelischen, sind im letzten Grunde keine Urbilder

mehr. Die Aristotelische Ideenlehre ist begrifflich gewiß in wichti-

gen Punkten gefestigter als die Platonische, in ihrem metaphysischen

Gehalte aber bedeutet sie einen tiefen Absturz! Von hier aus, so

dünkt uns, ist es zur Leugnung der Idee nicht mehr weit. Spätere

Zeiten haben denn diese Folgerung auch gezogen.

Der Anblick der Geschichte der Ideenlehre und ihrer gewaltigen

Gedanken muß uns mit Trauer erfüllen über das Stocken aller

Weiterentwicklung und die Armut der Gegenwart, über den zwie-

spältigen Zustand der Frage, über die ungelösten Denkaufgaben, die

zurückgeblieben sind. Jedes metaphysische Empfinden und jede

Philosophie, die das Übersinnliche im Sein festhalten und echte

Seinslehre bleiben will, verlangt die Annahme von Ideen. Wie

sollte sich die Schöpferkraft Gottes in der Welt vermitteln, wie

sollte sich der Stufenbau des Schaffens aus Geschaffenwerden ver-

wirklichen, wenn nicht durch jene den Menschen und den Wesen

sich eingebenden und dadurch sie erschaffenden Gesichte, die man

seit Platon die Ideen nennt?

Jedoch dürfen wir hier, um der kommenden Untersuchung nicht

vorzugreifen, diesen Gedankengang nicht weiter verfolgen.

/

1

Vgl. die vorige Anmerkung.

2

Siehe oben S. 403.

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