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Gezweiung höherer Ordnung, der Gezweiung des Stoffes mit der

Idee.

Indem die Idee auf den sich verräumlichenden und in Zuständ-

lichkeiten sich darstellenden Stoff trifft, wird sie sich mit dem

Stoffe in derjenigen Weise verbinden, die ihrem eigenen Lebens-

rhythmus entspricht, und diese Entsprechung der Innerlichkeit der

Idee, oder des Lebensrhythmus der Idee im Raume, ist die Aus-

drucksgestalt (im Gegensatze zur bloß mathematisch bestimmten

Gestalt).

Der Unterschied von zweierlei Gestalten ist uns schon von früher

her geläufig: erstens die seelenvolle Gestalt, die Ausdruck von etwas

ist (Beispiel: Physiognomik, die Lehre von dem seelischen Gehalte,

von der „Bedeutung“ der Gestalt); zweitens die elementarische

Verräumlichung, jene nur mathematische Gestaltetheit, die in den

Elementen und Stoffen dann anzutreffen ist, wenn sie nicht durch

die Idee zu bestimmten Gestalten gebracht werden, die räumliche

Elementargestalt, welche eine Folge des physikalischen System-

charakters ist (Wassertropfen als „Gleichgewichtssystem“). Hier er-

gibt sich aber eine Frage: Wie steht es mit den geometrischen Ge-

stalten? Liegen ihnen gleichwie den Ausdrucksgestalten eigene gei-

stige Wesen, eigene Ideen zugrunde? Unsere Antwort darauf lautet:

Die

A n n a h m e

v o n

e i g e n e n

g e o m e t r i s c h e n

I d e e n , z u m B e i s p i e l e i n e r I d e e d e s D r e i e c k e s ,

i s t w i d e r s p r u c h s v o l l . Denn dasjenige, worin sich die

Idee des Dreieckes darstellen soll, muß ja schon ein Räumliches

sein, muß sich ja schon vorher verräumlicht haben (da die Idee

sich nicht verräumlicht), muß also schon vorher einen Raum einge-

nommen und in diesem / Sinne eine wenn auch nur elementari-

sche Gestalt gehabt haben! Die geometrischen Gestalten (Ideen)

müßten also a n Gestalten erscheinen, was ein Widerspruch ist.

Die geometrischen Gestalten der Natur gehören fast immer (Kri-

stall und ähnliches ausgenommen) dem Organischen an. Sie kom-

men dann davon her, daß sich eine Idee im Vollzuge ihres Lebens-

rhythmus derart mit den räumlichen Bausteinen der Materie ver-

sieht, daß hieraus eine Regelmäßigkeit der Gestalt sich ergibt, wie

wir es früher auseinandersetzten. Die o r g a n i s c h e A u s -

d r u c k s g e s t a l t i s t e i n E r g e b n i s , a b e r k e i n e

I d e e , ein Ergebnis der Gezweiung der Idee mit der Materie, aber