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[203/204]

derungen, so ist in ihr doch kein Bruch, keine Krise. Die Krise bleibt

im Stande der bloßen Möglichkeit, besteht gleichsam nur latent. Sie

träte hervor, wenn in der Aufeinanderfolge der Setzungen nicht alle

Entsprechungen gewahrt blieben.

Das führt uns abermals auf den wahren B e g r i f f d e r G e s c h i c h t e ,

auf den wir auch an dieser Stelle einen Seitenblick werfen. Geschichte heißt

Umgliederung. Umgliederung heißt, daß nach Rücknahme des Alten Neues

ausgegliedert wird. Neuausgliedern ist schöpferische Tat (wie schon die wahre

Rücknahme). Aber Neuausgliederung ist nicht absolute Schöpfung, Urschöp-

fung, sondern abgeleitete Schöpfung, S c h ö p f u n g , d i e a n d a s A l t e

a n k n ü p f t . Das liegt daran, daß eine Rücknahme vorausging; dadurch ist

eine V o r a u s s e t z u n g für die Schöpfungstat gegeben, dadurch ist sie ab-

geleitete Schöpfung. Dieser Punkt ist entscheidend für den Sinn, den man dem

Schöpferischen in der Geschichte geben muß. Wir werden immer wieder auf

ihn zurückgewiesen. Schöpfertum in der Geschichte heißt nicht bedingungslose

Neubildung, sondern heißt: das Frühere mit zur Bedingung nehmen. Der

größte Einfall des größten Schöpfergeistes, eines Platon, eines Goethe, eines

Mozart muß an Altes anknüpfen. Geschichtliches Schöpfertum ist auf An-

knüpfung angewiesen; darum ist alle Geschichte Umbildung, Umgliederung.

E i n e v o m V o r h e r i g e n l o s g e t r e n n t e N e u b i l d u n g h a t

e s i n d e r G e s c h i c h t e n i e g e g e b e n .

Es liegt viel daran, diesen Punkt vollständig aufzuklären, da in der heuti-

gen Zeit jeder nur das Selbstgemachte für ursprünglich hält und nur als „Narr

auf eigne Hand“ stolzieren will. —- Neuausgliederung folgt auf Rücknahme.

Rücknahme heißt, etwas ganz Bestimmtes zurückgenommen haben; Neuaus-

gliederung heißt aber, wie sich immer wieder ergab, auf G r u n d d e s Z u -

r ü c k g e n o m m e n e n ausgliedern, also nicht ohne Voraussetzungen. „Stirb

und Werde“ gehören zusammen, das / Werden kann ohne Sterben nicht sein.

Da muß also etwas ganz Bestimmtes gestorben sein, etwas ganz Bestimmtes,

das ersetzt wird durch das „Werde“. „Werden“ setzt vorheriges „Entwerden“

voraus. Schöpfertum ohne Voraussetzung, reines Urschaffen kann nur von

der Gottheit gedacht werden. Nur ihr Schaffen allein geschieht ohne Vor und

Nach, ist ein Schaffen aus dem absoluten Nichts. Anders das abgeleitete Schaf-

fen. Der Mensch schafft, indem er an den Zustand, den er vorfindet, anknüpft

und so auch die geschichtlichen Ganzheiten, so die Staaten, Kirchen, Künste,

Wissenschaften (die ja in den Menschen ihre Glieder haben). D a h e r d i e

a b s o l u t e G e s c h i c h t l i c h k e i t a l l e s D a s e i n s .

C.

Was b e d e u t e t d e r B r u c k i m G a n g e d e r

U m g l i e d e r u n g ?

Wir fanden einen „Bruch“ im Gange der Umgliederung überall

dort, wo jene Voraussetzungen, an die der Vollkommenheit nach

bei neuen Setzungen angeknüpft werden müßte, fallen gelassen

wurden. „Bruch“ heißt daher in der Geschichte, daß ein Loch ent-