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B.

A l l g e m e i n e E i g e n s c h a f t e n d e r S p a n n u n g e n

Die Eigenschaften der Spannungen folgen im allgemeinen den

Eigenschaften der Brüche, aus denen sie stammen. Daher uns hier

immer wieder Bekanntes, wenn auch in neuem Lichte, begegnen

wird.

1. Der Sprung ins Dunkle

Unter den allgemeineren Folgen der Brüche ragt die Unüberseh-

barkeit dessen, was kommen werde, über alle anderen hervor, jene

Ungewißheit, die jeden Bruch mehr oder weniger zu einem Sprung

ins Dunkle macht. Denn sowohl im Hinblicke auf das durch den

Bruch von nun an Ausfallende, nicht mehr zu Setzende, wie auch

auf das Aufzuerweckende, neu zu Setzende herrscht niemals volle

Gewißheit. Das liegt deswegen / in der Natur des Abbruches, weil

er nicht nur unmittelbare Änderungen der Gliedstellungen der be-

troffenen Ganzheiten und Menschen mit sich bringt — Spannun-

gen, die sich vielleicht für die Gliedstellungen wenigstens der Be-

troffenen abschätzen ließen — sondern auch mittelbare Änderun-

gen. Diese berühren aber schließlich die Gliedstellung sämtlicher

geistiger und handelnder Glieder, Ganzheiten und Uberganzheiten

der Gesellschaft. Daraus ergeben sich Folgespannungen, die sich

unmöglich mehr übersehen lassen.

Jede Änderung, von der die Geistesgeschichte erzählt, jede Abtrünnigkeit

in der Religion, jedes neue Verfahren in der Wissenschaft, jeder neue Stilge-

danke in der Kunst, jeder neue Erfindergedanke in der Technik, jeder neue

Organisationsgedanke in der Wirtschaft ist ebenso ein Sprung ins Dunkle wie

jede Neuerung im Bau des Staates, der Kirche, der anderen Stände, der An-

stalten überhaupt. Niemand weiß, wohin der erste Schritt führt. Als Luther

seine Thesen anschlug, wußte er keineswegs, wohin das führen werde. Und

bei staatlichen wie anderen anstaltlichen Umwälzungen liegt das noch greller

am Tage. Wenn jene Männer, welche die französische oder, um von heute zu

sprechen, jene, welche die russische Empörung begannen, (das waren nämlich

noch gemäßigte Leute) das Ende gekannt hätten, hätte keiner den Anfang

gemacht. Die Aufeinanderfolge der Führer in der französischen Empörung von

1789 zeigt ein ähnliches Bild wie die in der russischen von 1917. Kerenski

hätte ebensowenig die Revolution gemacht, wenn er Lenin, Trotzky und Stalin

vorausgesehen hätte, wie Lafayette, wenn er Robespierre, Danton und Marat

vorausgesehen hätte.

Es liegt im Wesen der durch Brüche erzeugten Spannungen, daß man nie-

mals bestimmt wissen kann, was das Verstoßene, Alte für das Fehlen bisheriger

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