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G e b u n d e n h e i t des Schicksals des Einzelnen an das Ganze er-

scheint. Da aber auch das Eigenleben (Freiheit) nur gliedhaft zu ver-

stehen ist („der Esel graut schon im Mutterleib“), so ist der Wider-

spruch kein grundsätzlicher. Es folgt daraus insbesondere das, was

man die S c h i c k s a l s k o p p e l u n g des Einzelnen an das

Ganze nennen könnte. Aber auch die ist kein mechanischer Begriff.

Je nach der Gliedhaftigkeit hat die Koppelung eine verschiedene

Innigkeit: der Führer im Kampfe fällt wesensgemäß mit seinem

Heere; derjenige, der solchem Kampfe und seinen Ganzheiten fern

steht, dafür aber anderen Ganzheiten inniger verhaftet ist, fällt

nicht wesensgemäß mit. Archimedes sagt zu dem eindringenden

Krieger: „Störe meine Kreise nicht“ — Archimedes fällt nicht we-

sensgemäß mit seinem Verbande; daß er fällt, ist hier wesenswidrig

und muß aus anderen Schicksalskoppelungen erklärt werden!

Allen Widersprüchen gegenüber ergibt sich die tragische Forde-

rung der S c h i c k s a l s e r g e b e n h e i t . Es sind tiefste Schich-

ten des in unserem Innern wirkenden geheimen Wesens, das be-

wußter Wille und Können überformen. Daher kann zuletzt das

Schicksal, das härteste wie das glücklichste, seine Rechtfertigung nur

im Glauben finden, im Glauben an die aus- / gleichende Gerechtig-

keit des Jenseits. Denn hienieden wird volle Gerechtigkeit nicht

geübt. Die geschichtliche Gerechtigkeit gegenüber dem einzelnen

Menschen ist keine solche, die auf den Einzelnen allein zugemessen

wäre (man kann sagen, keine vollständige, sondern nur eine teil-

weise); denn der Einzelne teilt die Schuld seiner Ganzheit. Das

Schicksal wirkt nur in den Menschen, im I n n e r g e i s t i g e n ,

nur in den verborgensten Schichten, nicht äußerlich. Schicksal ist

nichts Fertiges.

Die Aufgabe der Geschichtsphilosophie ist nicht, das Einzelschicksal zu erklä-

ren, noch auch, wie im Drama, den Zusammenhang des Einzelschicksals mit dem

eines größeren Ganzen, in einem größeren Zusammenhange verständlich zu

machen; sondern das Ganzheitsschicksal zu erklären. Das Weltgeschehen muß,

als Schicksal verstanden, zuletzt ein H e i l s g e s c h e h e n sein, es muß die

Ganzheiten so lenken und treffen, daß die Glieder auch in den vernichtendsten

Schicksalsschlägen die ihnen gemäße Läuterung finden können. Das Gesamt-

schicksal kann nur durch die Gezweiung und Verbände die Einzelnen ergreifen.

Das Gesamtschicksal der Menschheit, der Völker, Staaten, Wissenschaften,

Künste, Sitten muß nach dem unbedingten V o r r a n g e d e s M e t a p h y s i -

s c h e n seine Quelle in Religion und Philosophie haben.

Das Einzelschicksal hat gemäß der Gliedhaftigkeit in einem höheren Ganzen