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F r e i h e i t u n d G e r i c h t der Geschichte hängen zusam-

men. Das Gliedhafte der Freiheit erklärt uns auch ihren Fehlge-

brauch. Ist dem Gliede Freiheit gegeben, so kann es diese Freiheit

zweifellos auch ganzheitswidrig gebrauchen. Aber damit straft es,

vernichtet es sich selbst, und zwar genauso weit, als es den Fehl-

gebrauch treibt. Das hinter seiner Verrichtung (der Fülle seines

Eigenlebens) zurückbleibende Herz erreicht nicht nur sein eigenes

Lebensmaß (seine eigene Leistungshöhe) nicht — es ist auch Herz

eines kranken Organismus und hat sich selbst in seinem Lebens-

bestande herabgemindert; und ebenso bei Überschreitung seiner

Grenzen.

Ein Gesetz der Geschichte ist: G o t t s t r a f t n i c h t .

S e l b s t v e r n i c h t u n g d e s W e s e n s w i d r i g e n i s t d a s

G e r i c h t d e r G e s c h i c h t e . Was Ganzheiten und Glieder

an Fehlumgliederung vollbringen, vermindert oder vernichtet in

demselben Maße ihren eigenen Seinsbestand. Durch diese Selbst-

reinigung sorgt der liebe Gott dafür, daß ihm das Böse in der Welt

nicht über den Kopf wachse.

B.

S c h i c k s a l

Freiheit und Schicksal scheinen einander zu widersprechen. Die-

sen Widerspruch stellten in der „Kategorienlehre“

1

die beiden

Sprichwörter dar: „Der Esel graut schon im Mutterleibe“ und

„Jeder ist seines Glückes Schmied“. Aber der Widerspruch ist nicht

unversöhnlich. Das erste Sprichwort sagt uns sehr bildhaft: daß es

die Eselheit ist, die den Esel bestimmt und nichts anderes. Das

schließt aber Freiheit nicht aus, die Eselheit gibt nur den Rahmen

ab, innerhalb dessen der einzelne Esel die Freiheit seines eigenen

Daseins ausüben könne. Das Arteigene seiner / Ausgliederungs-

macht, seiner Selbstsetzungsmacht, ist mit der Eselheit umrahmt.

Wenn man sagen wollte, daß das seine „Bindung“ sei, so könnte

man doch ebensowohl das Gegenteil sagen: daß hier die Wurzeln

seiner Lebensfähigkeit, Kraft, Freiheit seien, von der er Gebrauch

machen müsse, während z. B. ein Stein solche Lebensmacht und

1

Vgl. mein Buch: Kategorienlehre (1924), 2. Aufl., Jena 1939, S. 225 f. [3. Aufl.,

Graz 1969, S. 206 f.].