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Gleichwie es unter den Menschen geistig unfruchtbare und wilde

Völker gibt, die durch mißlungene Kulturdurchdringungen, einsei-

tige Fehlausgliederungen, religiöse Entartungen, Niederlagen und

Unterwerfungen heruntergekommen sind; ebenso gibt es leere

Welten, wüste Räume. Wilde hat es immer gegeben, / leere Räume,

wüste Welten, dünne Zeiten, in denen nichts vorgeht, hat es immer

gegeben. Auch in seinen Gebrechen leuchtet der Geist der Natur

vor.

Die Erde ist den Gestirnen nicht entgegen, sondern ein „Stern

unter Sternen“. Was bedeutet das für die Geschichtsphilosophie?

Die Menschheit auf dieser Erde ist so, wie sich findet, abgeschlos-

sen und für sich — jedoch das Geistesreich kann im Raume überall

sein, denn der Geist ist überräumlich. Raum und Entfernung steht

unter dem Geiste. Gleichwie auf der Erde ein Mensch weit vom

andern, ein Volk weit vom andern wohnt; gleichwie auf der Erde

sich die einzige „Menschheit“ in vielen Völkerkreisen, Völkern,

Stämmen, Einzelnen darstellt; gleichwie das Ganze in Gliedern ge-

boren wird, die räumlich getrennt sind, während die Ganzheit un-

räumlich im Vorsein verharrt; gleichwie sogar die Seele ganz im

Körper ist, die Körperteile im Raum getrennt, die Seele aber eben

darum überall, weil sie nicht im Raume, weil sie überräumlich ist

— so auch der Geist gegenüber dem Sonnensystem, so der Geist

zuletzt auch gegenüber dem ganzen ungeheuren Gebäude von rol-

lenden Sonnen und Milchstraßen. Der Raum an sich gilt nichts für

den Geist, die räumliche Geteiltheit nichts dort, wo ungeteilte Ein-

heit wohnt. Schiller und Goethe waren ihrer Sache sicher, als sie

den Astronomen zuriefen

1

:

Schwatzet mir nicht soviel von Nebelflecken und Sonnen!

Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch gibt?

Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume;

Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.

1

Johann Christoph Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe: An

die Astronomen, in: Xenienalmanach (1797), Votivtafeln.