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turvorgang im Sinne der Physik auffassen, daher die Geschichts-

wissenschaft als Naturwissenschaft begründen wollen. Zu diesem

Zwecke machen sie verschiedene Versuche, die geschichtlichen „Na-

turvorgänge“ in ihren geschichtlichen „Gesetzmäßigkeiten“ zu er-

fassen: zuerst als Mechanismus, der zugleich zweckhaft sein und be-

stimmten „Entwicklungsgesetzen“ unterliegen soll (so bei Comte,

Darwin, Marx, auch bei Spengler); sodann als Inbegriff von Einflüs-

sen der Umwelt auf den Menschen (Marx, Taine, Ratzel); alles dies

unter Zuhilfenahme der gesellschaftlichen Wissenschaften, die eben-

falls als Naturwissenschaften aufgefaßt werden (bei Comte die „So-

ziologie“, bei Marx dazu die Wirtschaftswissenschaft, bei Buckle die

Statistik).

Man muß sagen, daß die naturalistische Geschichtsphilosophie in

allen Gebieten ergebnislos geblieben ist. Sie hat zwar zur genaueren

Erfassung der Tatsachen, zur Quellenkunde und Quellenprüfung

kraft ihrer empiristischen Einstellung mächtig hingedrängt (eine

Entwicklung, die aber auch dem Idealismus, welchem Tatsachensinn

nicht fremd ist, möglich gewesen wäre). Aber ihre grundsätzlichen

Ergebnisse sind verfehlt: Keines ihrer „Entwicklungsgesetze“ ist

wahr: weder das Gesetz der drei Zustände, noch das des Fortschrit-

tes, noch auch das der mechanischen Altersstufenfolge; keine ihrer

Lehren ist fruchtbar, weder die „Umweltlehre“, noch die Verbin-

dung mit der naturalistischen Soziologie und Psychologie; keiner

ihrer Grundbegriffe ist haltbar: weder der Begriff der Geschichte

als eines Naturgeschehens (denn Naturgeschehen ist keine Geschichte

im menschlichen Sinne); noch auch der Begriff des natürlichen Ent-

wicklungsgesetzes.

/

Auch die übrigen besonderen Lehrbegriffe, so etwa der System-

versuch einer „sozialen Physik“ in geschichtlicher Form, nämlich als

„soziale Dynamik“, wie überhaupt die Anwendung von (angeb-

lichen) Gesetzen der Wirtschaft auf die Geschichte ist haltlos und

grundsätzlich unrichtig.

Die materialistische Geschichtsphilosophie vermochte nicht ein-

mal einen Begriff der Geschichte zu entwickeln, sie vermochte auch

nicht, über den Verlauf der Geschichte etwas Wahres auszusagen; sie

vermochte auch keine Verfahren auszubilden, die späterhin auf die

Erforschung der Geschichte anwendbar wären.

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