Table of Contents Table of Contents
Previous Page  29 / 427 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 29 / 427 Next Page
Page Background

[27/28]

29

Von Comte kommt auch her T h o m a s B u c k l e

1

. Er will die Natur-

gesetze des Völkerlebens mit Hilfe der Massenstatistik, besonders der Bevölke-

rungs- und Moralstatistik erforschen. (Ähnlich wohl dem „mittleren Menschen“

des Statistikers A d o l p h e Q u e t e l e t

2

. ) Die Masse tritt in den Vordergrund,

auch die Schöpfung des großen Mannes sei schließlich ein Erzeugnis der Masse.

Nicht sehr in Einklang mit diesem Verfahren behauptet Buckle, daß die „Menge

des Wissens“ den geistigen Zustand der Völker bestimme. „Die Totalität mensch-

licher Handlungen .. . wird regiert durch die Totalität des menschlichen Wissens.“

„Die zwei großen Triebfedern, welche die Welt bewegen, sind der Trieb nach

Reichtum und der Trieb nach Kenntnissen“

3

. Das Wissen erzeuge auch die ge-

sellschaftliche Klassenbildung.

Verwandt mit der Geschichtsschreibung Buckles ist die „Anthropogeographie"

von F r i e d r i c h R a t z e l

4

, welche vor allem eine besonnene und planvolle

Umweltlehre versucht: Gebirge trennen, Ebenen vereinigen. Reiche oder arme

Natur, leichter oder schwieriger Verkehr wirken auf die innere Art eines

„Volksorganismus“. Rassenanlagen, Entlehnung von Kulturgütern anderer Völker

und Anpassung wirken aber dabei als selbständige Faktoren. — Wegen dieser

Vielfalt der Bedingungen kann Ratzel keine durchgreifenden, einheitlichen „Ge-

setze" begründen. Seiner Lehre fehlt durch Einbeziehung von Rasse und Geist

die einheitliche Prägung. / Auch was an Regeln dabei übrig bleibt, hat geschicht-

lich keine strenge Geltung. Bedenkt man z. B., daß die Westgoten diesseits und

jenseits der Pyrenäen ihr Reich errichteten, daß die deutschen Kaiser immer

wieder über die Alpen stiegen, dann hört das Trennende der Gebirge auf; oder

bedenkt man, daß gerade die ältesten der uns bekannten Kulturen, die sumerisch-

babylonische und die ägyptische durchaus keine günstigen umweltlichen Vor-

bedingungen fanden, da Mesopotamien trocken und steinig, die Nilebene ein

schmaler Streifen Sumpfland in der Wüste war; beides erst in härtester Arbeit

wirtlich und fruchtbar gemacht werden mußte — dann erkennt man die Bedeu-

tungslosigkeit solcher „umweltlicher Lehrsätze“

5

Mit einem Worte sei auch auf den in Deutschland einflußreich gewordenen

H e r b e r t S p e n c e r

6

hingewiesen. Das Weltgeschehen besteht ihm zuletzt

lediglich in fortwährender Andersverteilung von Stoff und Bewegung. Das führt

zu einem steten Wachstume der Wesen und zwar im Sinne des Überganges aus

1

Thomas Buckle: History of Civilisation in England (1857 und 1861), deutsch

von Arnold Ruge unter dem Titel: Geschichte der Zivilisation in Großbritannien,

3 Bde, Leipzig 1886—88.

2

Adolphe Quételet: Physique sociale ou Essai sur le developpement des

facultés de l’homme (1835), deutsch von Valentine Dorn unter dem Titel:

Soziale Physik oder Abhandlung über die Entwicklung der Fähigkeiten des

Menschen, Bd 1, Jena 1914, Bd 2, Jena 1921.

3

Thomas Buckle: Geschichte der Zivilisation in Großbritannien (1857 und

1861), Bd 1, S. 196 und Bd 2, S. 165.

4

Friedrich Ratzel: Völkerkunde, 3 Bde, Leipzig 1886—88; Anthropogeogra-

phie, 2 Bde, Stuttgart 1882 und 1891.

5

Uber die Umweltlehre vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre (1914), 3. Aufl.,

Leipzig 1930, S. 146 f. [4. Aufl., Graz 1969, S. 182—184] und unten S. 253 ff.

6

Herbert Spencer: Principles of Sociology, London 1876—1896; 4 Bde,

deutsch von B. Vetter, Stuttgart 1877, 1887, 1888 und 1891.