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Die Natur erreicht sich nicht überall selbst — das ist eine Er-

fahrung, die sich dem miterlebenden Geiste unwiderstehlich auf-

drängt. Das Harte, Trockene, Lebenswidrige, Starre, Wie-tot-

Anmutende tritt uns in der anorganischen Natur nicht selten

entgegen. In kahlen Gesteinen, in leeren Wüsten und Ödnissen,

in Eiszeiten und Eispolen zeigt sich uns die Natur wie aus

Schwäche eine verödete, unwirtliche Seite. Hier ist sie unserem

Leben nicht in tätiger Feindschaft entgegen wie im Titanischen

und Chaotischen, sondern es mutet uns an, als fehle es an Kraft

der Aufschließung, an innerer Setzungsfülle.

Die d r i t t e M ö g l i c h k e i t ist die wesentlichste, am

meisten verwirklichte. Sie beherrscht die Züge der Natur. Zwie-

spalt und Hader ist ja nur ein Scheinleben, wenn auch ein

Un-

holdisches und mächtiges, gleichsam ein tätiger Zerfall; wäh-

rend der untätige, / absterbende Zerfall schon der Vorhof der

Ruhe, des Endes ist. Die N a t u r a l s B i l d n e r i n — das

ist ihre tiefste Wahrheit. In der anorganischen Natur waltet

überall hervorbringende Veränderung und Bewegung vor. Ein

chemischer Sturm rastloser Neubildungen der Dinge geht über

die Erde, dazu nie innehaltende physikalische Veränderungen

aller Eigenschaften und Zustände der schon gebildeten Dinge,

z. B. durch Verdunstung, Verwitterung, Erwärmung, Abkühlung,

Strahlung, elektrische und radioaktive Umwandlungen, Fall und

Erhebung, Druck und Stoß, Woge und Wind, Ebbe und Flut,

Gang der Jahreszeiten, Lauf der Sonnen, Wandelsterne und Irr-

sterne. Solche Bewegtheit in rasenden Erregungen und Setzungen

deutet auf den ewig hungrigen, unstillbaren, sich selbst nach-

ahmenden Bildungstrieb der Natur. Die N a t u r l e g t s i c h

i n T e i l e a u s e i n a n d e r , u m d e r e n S e i n i n G e -

g e n s e i t i g k e i t z u e n t f a l t e n . Das erreicht sie aufs

äußerste im Raume. Sie trennt sich in ihm, wie um sich selbst

zu erjagen und zu genießen, ihr Größtes ist das Aneinander-

werden, das Sich-aneinander-Erschaffen der Dinge. Daher das

Unermüdliche, Mannigfaltige, Unermeßliche, und auch Un-

wiederholbare ihrer Bildungen und Abänderungen, bei aller

Einfachheit ihres sich stets gleich bleibenden Wesens und ihrer

Mittel.

Das Treiben der Natur ist so zuletzt wie das des Geistes

S c h a f f e n a u s G e s c h a f f e n w e r d e n . Das Schaffen

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