Previous Page  231 / 283 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 231 / 283 Next Page
Page Background

[260/261]

231

II.

Die Innerlichkeit in der Natur oder die Weltseele

Die Natur ist aus Gottes Hand hervorgegangen. Mächte, die

zuletzt der Gottheit selbst entstammen (mögen sie auch ihre

eigenen Schicksale haben), walten und leben in ihr. Diese Mächte

bilden die Innerlichkeit der Natur, in ihrer Einheit nannte sie

die uralte Weisheit W e l t s e e l e o d e r W e l t g e i s t .

Das tiefste, innerste Gefühl sagt dem Menschen, daß der Be-

griff einer Weltseele Wahrheit an sich haben müsse. Der Wan-

derer in den Bergen, der Beschauer des bestirnten Himmels

erlangt eine sichere, wenn auch unaussprechliche Fühlung mit

der Natur. Der Mensch weiß sich der Natur verwandt, befreundet,

und das auf eine Art, welche ebensoweit entfernt ist von Schwär-

merei wie von künstlicher Reflexion, sondern Unmittelbarkeit

an sich hat, darum so selbstverständlich wie echt ist.

Das bekundet auch alle hohe Dichtung (Shakespeare, Goethe,

Novalis, Eichendorff), alle hohe Musik (Mozarts, Beethovens,

Schuberts Naturtöne, Wagners Waldweben), alle hohe Malerei

(Grünewalds Kreuzigungslandschaft) übereinstimmend.

Aber auf das schärfste widerspricht dem die neuzeitliche

mathematische Physik, ja die gesamte naturwissenschaftliche

Bildungsrichtung der letzten Jahrhunderte. In ihrer Natur ist

nicht Leben noch Geist, nicht Licht noch Klang, ihre Natur ist

blind und taub. Sie erkennt in der Natur nur einen toten Mecha-

nismus notwendiger Abläufe. Sie findet nur äußere Bewegungen

und Zustandsänderungen letzter Teilchen, der angeblichen

„Atome“, „Korpuskeln“, dort, wo der unbefangene Mensch ein

Leuchten und Klingen, Wirken und Leiden als Wirklichkeit

vernimmt. Ihr ist die Natur entseelt, entgöttert, mathematische

Zwangsläufigkeit tritt an die Stelle der Weltseele.

So betrachtet, muß die mathematische Naturwissenschaft ge-

radezu als das Radikalböse erscheinen, welches der Kultur den

warmen Lebensatem raubte, indem es für ein höheres Walten /

im All keine Möglichkeit mehr offenließ. In der Geschichte

hat die mathematische Naturwissenschaft diese furchtbare Rolle

in der Tat gespielt. Gewiß hat sie, wie allbekannt, auch frucht-

bare neue Erkenntnisse gebracht und uns die Natur reicher

gemacht. Sie hat noch gewaltigere praktische Erfolge erzielt.

Darum kann und darf sie auch nicht ganz und gar verworfen —

sie muß auf eine durchaus dienende Rolle zurückgebracht werden.

16*