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I. Das Wesen der Religion

A. D e r B e g r i f f

Im Begriff der Religion wurden von jeher verschiedene Merkmale

als die wesentlichen geltend gemacht: der G l a u b e als ein Eigen-

tümliches, Inneres, welches die Religion begründet; die Gemein-

schaft mit Gott oder die Teilnahme am göttlichen L e b e n und

damit unmittelbar verbunden die V e r ä h n l i c h u n g mit Gott,

worin schon inbegriffen ist: die L i e b e zu Gott; ferner das Ge-

f ü h l d e r A b h ä n g i g k e i t des Menschen von der unend-

lichen Natur, welches, indem das Unendliche gespürt wird, zu Gott

führt; weiter die E r k e n n t n i s Gottes; das G e w i s s e n u n d

d i e S i t t l i c h k e i t , sei es aus göttlichen Geboten oder aus

transzendentaler Vernunft folgend; endlich das W o l l e n u n d

W i r k e n des Menschen aus Gott.

Von diesen Merkmalen, welche allerdings nicht alle als gleich ur-

sprünglich anerkannt werden können, stellte I m m a n u e l K a n t

die Sittlichkeit, das ist die praktische Vernunft und damit das Wol-

len und auch das Handeln, in den Vordergrund; F r i e d r i c h

E r n s t D a n i e l S c h l e i e r m a c h e r , F r i e d r i c h H e i n -

r i c h J a c o b i u n d J a k o b F r i e d r i c h F r i e s hoben das

Ursprüngliche des Glaubens hervor, und zwar bestimmte es Schleier-

macher als Gefühl der Abhängigkeit schlechthin (nicht als bloßes

Fürwahrhalten), Fries als Ahnung; G e o r g W i l h e l m F r i e d -

r i c h H e g e l teilte einerseits den Ausgangspunkt Kantens

( „.. . wahrhafte Religiosität geht nur aus der Sittlichkeit her-

vor .. .

1

), gründet aber andererseits gleich den Mystikern die Re-

ligion auf die göttliche Gegenwart im Menschen („ .. . das Ansich-

seiende innerhalb der Religion ist der absolute Geis t. . .“

1

), außer-

dem aber noch auf den spekulativen Begriff, das ist auf die Erkennt-

1

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissen-

schaften im Grundrisse, 2. Aufl. neu herausgegeben von Georg Lasson, Leipzig

1905, § 552 (= Philosophische Bibliothek, Bd 33).