Einleitung
Was ist Wahrheit in der Religion? Welche Religion ist die ein-
zig gültige und zeigt dem Menschen der Sehnsucht den Weg zu
Gott?
Diese Frage ist es, deren Beantwortung wir vor allen anderen von
einer Religionsphilosophie erwarten. Denn die Vielheit der Reli-
gionen, von der uns Geschichte und Gegenwart zeugen, kann den
Menschen an aller Religion irre machen und geradezu in einen Ab-
grund der Verzweiflung stürzen. Diese Vielheit ist die größte Zu-
mutung an menschliches Begreifen. Sie ist dem religiösen Gemüte
ein noch größerer Schmerz als die Vielheit der Philosophien dem er-
kennenden Geiste, da sich der Auseinandersetzung mit anderen Er-
kenntnisrichtungen der starke Geist weit mehr gewachsen fühlt als
der Auseinandersetzung mit den verschiedenen inneren religiösen
Entscheidungen und den daraus folgenden religiösen Diensten und
Lebensordnungen.
Das Ergebnis, zu dem dieses Buch kommt, ist: daß sich die ver-
borgene und unausschöpfliche Gottheit keiner Zeit und keinem
Volke je ganz versagt, daß sie sich vielmehr stets, wenn auch ver-
schieden kundgegeben habe. Denn der Mensch ist ein hohes Wesen,
in dessen Natur es liegt, mit dem Transzendenten echte Fühlung
gewinnen zu können. Er kann aber auch in Wahn verfallen und
diese Fühlung so verwirren, daß er das Transzendente hernieder-
zieht und mit Grauen bedeckt.
Wer die Religionen der Völker so betrachtet, daß er das Tiefste
aufzusuchen und das Äußerliche vom Innerlichsten zu scheiden
wisse, der erkennt das echt Religiöse in allen höheren Religionen
seinem Kern nach überall als dasselbe! Wie klar ist das Wasser der
Quelle eines Stromes in den hohen Bergen, wie trüb in der Mün-
dung am Meere. Wie fest gegründet, göttlich genährt ist der mensch-
liche Geist in seiner tiefsten Wurzel, wie schwankend, verletzlich
und gestaltlos in seinen letzten Zweigen!