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Seele“ waren wissenschaftlich relevant allein deren Bewußtseins-
E r s c h e i n u n g e n .
Das Leersein von allen (irdischen) Dingen, das den Mystiker zum
Einssein mit der göttlichen Fülle fuhrt, wird schon durch die klas-
sische (empiristische) Logik in das Gegenteil verkehrt, weil ihr der
Allgemeinbegriff grundsätzlich der an Merkmalen ärmere ist, sodaß
das allgemeinste und höchste Sein letztlich zu einem Nichts zer-
rinnen muß. Und auch die Seele ist dem extremen (folgerichtigen)
Empirismus ein solches Nichts, nämlich eine Tabula rasa, die erst
durch die Sinneseindrücke mit Inhalten, das heißt mit seelischem
Sein erfüllt wird. So ist es nicht wunderzunehmen, wenn sogar das
mystische Gotteserlebnis, welches allein schon als Erlebnis allen
Empirismus vernichten müßte, nun von diesem nicht anders ge-
deutet wird, denn als die Zurückführung der Seele in ihre ursprüng-
liche „Leerheit“.
Der Skeptizismus und Agnostizismus des von K a n t entthronten
H u m e hatte nach einem Jahrhundert, nach dem Niedergange des
Deutschen Idealismus mit Schellings Tod die Herrschaft nun auch in
der deutschen Philosophie angetreten. Auf den Lehrstühlen der Philo-
sophie hatte die Seele ihr Wesen, ihre Substanz, ihr Sein verloren. Es
ist erschütternd, wenn wir bei Hans Volkelt, dem verehrungsvollen
Schüler Wundts, dieses „gotterfüllten Mannes“, wie er ihn selbst mit
Recht nennt, den aus demutsvoller Hingabe an seinen Lehrer ausge-
sprochenen, euphemistischen Satz lesen: „Unwürdig freilich scheint
es mir der menschlichen Seele auch nicht zu sein, sie unsubstantiell
als ein bewußtseinsjenseitiges überwirkliches Ewiges hinter und über
dem Erleben des Menschen seiend und wirkend zu denken, wenn ich
mich auch einer derartig supranaturalistischen Seelenauffassung nicht
anzuschließen vermag, sondern bei der wissenschaftlich gut gesicherten
Überzeugung von einer unbewußten seelischen Tiefe substanzhafter
Art beharre“
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Doch wie wenn er rückgängig machen wollte, was seine Lehre im
deutschen Geistesleben angerichtet hatte, ringt sich Wilhelm Wundt
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Hans Volkelt: Grundfragen, S. 154.