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ist bereits den Scholastikern verlorengegangen, obwohl wir bei ihnen eine

distinctio essentiae et existentiae finden ... Nun ist es g e w i ß r i c h t i g ,

d a ß v o n z w e i D i n g e n , d i e b e i d e e x i s t i e r e n , d a s e i n e

n i c h t i n h ö h e r e m G r a d e e x i s t i e r t a l s d a s a n d e r e , d a -

g e g e n i s t e s w o h l m ö g l i c h , d a ß e s m e h r R e a l i t ä t e n t -

h a l t e . In diesem Sinne lehrt Spinoza: Quo plus realitatis, aut esse, una quaeque

res habet, eo plura attributa ipsi competunt.“

1

Der Sinn dieser Ausführungen Arleths darf dahin zusammengefaßt werden,

daß jenes Ding mehr Realitätsgehalt hat, welches an (entwickelten, wie nur an-

gelegten) Eigenschaften reicher ist.

Suchen wir von hier aus den Faden wieder zur verfahrenmäßigen

Auffassung des Verhältnisses von Sein und Sollen, so ergibt sich:

daß der Wesensbegriff eines Dinges zugleich der Begriff dessen ist,

was an einem Ding sein s o l l ; das Ding erscheint als Ganzes aus

Eigenschaften, die G l i e d e r sind; „Glieder“, „gliedlich“, das

heißt ebenso „seiend“ als „gesollt“. Denn als Glieder g e l t e n sie

etwas im Ganzen, s o l l e n sie etwas, stellen sie s i n n v o l l e

Ausgliederung des Ganzen dar. Und indem sie sollen, sind sie; und

indem sie sind, sollen sie auch. Ihr S e i n i s t e r f ü l l t e s

S o l l e n , i s t ( g l i e d l i c h e ) B e s t i m m u n g ; i h r S o l -

l e n e r f ü l l t S e i n , e r f ü l l t , s c h a f f t „W e s e n“. Und

wenn dann am handgreiflich-erfahrbaren (zufällig-konkreten) Ding

einige Wesensmerkmale unvollständig oder andere wesenswidrige

anzutreffen sind, so sind diese Merkmale als die unvollkommenen

und als die ungesollten von den vollkommenen oder gesollten zu

unterscheiden. Weit entfernt davon, daß die Unterscheidung von

Sein und Sollen eine unüberbrückbare Kluft zwischen beiden auf-

tut, weit entfernt davon, daß eine V e r w i r k l i c h u n g des

Gesollten ein Widersinn wäre (weder eine logische noch reale Mög-

lichkeit wäre, nach Cohen und seiner Schule) — ist a l l e s W i r k -

l i c h e

ü b e r h a u p t

n u r

a l s

V e r w i r k l i c h u n g

e i n e s S o l l e n s a u f f a ß b a r . Das Wesen des Seins ist: Ver-

wirklichung eines Gesollten. Und das würde gegenüber dem Wesens-

begriff des Realen bedeuten: Im Realen wird nur das Gesollte, das

Vollkommene erforscht — ein Satz, auf dem die Logik seit Aristo-

teles in der Lehre vom Begriff der Tat nach begründet ist, trotz

aller „induktiven Logik“.

1

Emil Arleth: Die metaphysischen Grundlagen der aristotelischen Ethik,

Prag 1913, S. 51 f. (Sperrdruck und Einschaltungen in eckigen Klammern von mir,

O. S.).