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Die Dialektik wird bis heute, von wenigen hervorleuchtenden

Ausnahmen abgesehen, entweder überhaupt nicht verstanden, indem

man sich nur über die Anmaßung ableitenden Vorgehens entrüstet,

wo doch die Erfahrung allein maßgebend sei, wie man das an dem

Beispiele der mißglückten Planetenbestimmung durch Hegel glaubt

grell beleuchten zu können; oder sie wird zwar in ihrer ableitenden

Kraft bewundert, dennoch als Verschrobenheit abgelehnt. Wie

könnte aber, so müssen wir fragen, eine bloße Verschrobenheit ent-

scheidende Bedeutung für den Aufbau eines philosophischen Be-

griffs- / gebäudes gewinnen, ja wie könnte sie in der gesamten Ge-

schichte der Philosophie eine Rolle spielen? Hier liegt die Kernfrage

der Beurteilung des dialektischen Verfahrens. Sie weist auf die sy-

s t e m g e s t a l t e n d e B e d e u t u n g des dialektischen Verfah-

rens hin.

Ehe wir auf die sich hier ergebenden Denkaufgaben eingehen,

mögen noch folgende Zusätze zur Vermeidung späterer Mißver-

ständnisse vorausgeschickt werden.

Z u s a t z ü b e r F o r m u n d I n h a l t d e r D i a l e k t i k

Die Form der Dialektik ist bei Fichte, Schelling und Hegel gleichermaßen die

Entgegensetzung und ihre Aufhebung: Thesis-Antithesis-Synthesis. Darin liegt

aber dreierlei: (1) die gerade Fortschreitung (die für sich endlos wäre); (2) die

Rückkehr in sich oder die Kreisform, insofern die Synthesis „Aufhebung“ der

Verneinung und damit Rückkehr zur Setzung auf höherer Ebene ist; (3) der

Fortgang zur Konkretisierung und Fülle, insofern die These noch das Bestim-

mungslose ist, durch Verneinung und „Aufhebung“ aber neue Bestimmungen

gesetzt, die Konkretisierungen damit immer weiter getrieben werden (Beispiel:

das Allgemeine — Besondere — Einzelne).

I n h a l t l i c h läßt sich der Gang der Dialektik bei H e g e l folgender-

maßen kennzeichnen: Das (bestimmungslose, daher unmittelbare) Sein bestimmt

sich durch innere dialektische Gegensätze hindurch zum Wesen; das Wesen durch

Erscheinung und Wirklichkeit hindurch zum Begriffe; der Begriff vollendet sich

durch Subjektivität und Gegenständlichkeit hindurch zur Idee. Während der

Begriff zunächst das Formelle und Subjektive ist, ist er nach seinem Durchgange

durch den Gegenstand als Idee (Leben, Erkennen, absolute Idee) zu sich selbst

zurückgekehrt. Die Idee ist als Einheit des subjektiven und objektiven Begriffes

— das aus seinem Begriffe zur adäquaten Realität sich bestimmende Absolute —

immer noch als in der logischen Ebene, das ist als „sich selbst denkende Idee“,

als „logische Idee“

1

oder „absolute Idee“

2

. — Über das „Logische“ hinaus führt

1

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaf-

ten im Grundrisse (1817), in 2. Aufl., neu herausgegeben von Georg Lasson,

Leipzig 1905, § 236 (= Philosophische Bibliothek, Bd 33).

2

Hegel: Enzyklopädie, § 237.