Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8731 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8731 / 9133 Next Page
Page Background

11

dieser Ganzheitsbeziehung (etwa zwischen Mutter und Kind, Meister

und Lehrling, Künstler und Publikum, Lehrer und Schüler, Mann und

Frau, Bürger und Mitbürger) beruhen nach Spann die Strukturge-

setze der Sozietät: das heißt, nicht auf Gleichförmigkeit, sondern auf

innerer, letztlich geistig begründeter Gliederung, auf Leistungsteilung

wie zugleich auch Zusammenarbeit; nicht auf Zentralismus, sondern

auf Dezentralisation unter Bedacht auf Eigenleben und Eigenwert der

Menschen, auf Leistung wie Sachsouveränität gegründete Ordnung

und Hierarchie. Indem er dem Politischen schlechthin, dem Staat,

natürlichen Vorrang und eigenständige Führungsaufgabe zumißt, wird

Spann der Wirklichkeit gesellschaftlichen Lebens ebenso gerecht wie

zugleich der Forderung nach einem dezentralistischen, körperschaft-

lich-,,ständischen“ Gefüge jedes Gemeinwesens. Dies tut einer demo-

kratisch-parlamentarischen Verfassung und Staatsform selbstverständ-

lich keinen Abbruch, zielt vielmehr auf deren Stärkung und Sicherung

durch dem gesellschaftlichen Gefüge und seinen Sacherfordernissen

entsprechende Entscheidungsstrukturen und -Voraussetzungen, damit

zugleich auf das nach wie vor aktuelle gesellschaftspolitische Problem

einer sinnvollen Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Ver-

bänden. Spanns geistig-politische Kritik und Auseinandersetzung zu

seiner Zeit wandte so sich vor allem gegen eine demagogisch-plebiszi-

täre Form von Demokratie, gegen die nicht zuletzt in jüngster Ver-

gangenheit eine revoltierende Jugend — wenn auch unter verschiedenen

Schattierungen — mit der Anklage „basisfremder“, das heißt zugleich

gemeinschafts- und sachferner „Demokratisierung“ zu Felde gezogen

war

8

.

Das Humane wie auch Wirklichkeitsnahe im ganzheitlichen Gesell-

schaftsentwurf Spanns liegt gerade darin, daß er zentralistisch ver-

bürokratisierende Verstaatlichung wie individualistisch auflösende

Entäußerung und Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens

gleicherweise vermeiden will. Das oftmals auch mißgedeutete Leit-

wort „Stand schluckt Staat“ weist grundsätzlich auf Subsidiarität,

8

Vgl. Helmut Schelsky: Utopie eines wahren Staates. Plädoyer für einen verkannten

Soziologen. Zum 100. Geburtstag von Othmar Spann, in: Deutsche Zeitung, Düsseldorf,

16. Oktober 1978.