Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8775 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8775 / 9133 Next Page
Page Background

53

Frage angebracht, ob die „Gesellschaftslehre“, die das erste Mal

unmittelbar vor dem Ersten Weltkriege und das dritte Mal in der

Zeit der großen Weltwirtschaftskrise erschien, überhaupt noch

zeitgemäß sei.

Können die Spannschen Behauptungen von „der Notwendigkeit

einer nichtempiristischen Begründung der Gesellschaftslehre“ nach

dem seither vergangenen halben Jahrhundert der Tatsachen- und

der Wissenschaftsgeschichte, können sie angesichts der heute fast

allein herrschenden empiristisch-realistischen Behandlung der ein-

zelnen Gebiete der Gesellschaftslehre noch aufrechterhalten werden?

Viele der heute herrschenden Richtungen und der heute besonders

modernen Verfasser werden diese Fragen rückhaltlos verneinen.

Demgegenüber sei als Hinweis gestattet, daß die alten Grund-

fragen der Gesellschaftslehre auch in der heutigen „Explosion der

Sozialwissenschaften“ noch mit drängender, geradezu dringlicher

Jugendlichkeit behaftet scheinen; als da sind: Gemeinschaft und

Gesellschaft, Kultur und Zivilisation (besonders Technik), empiri-

stische oder transzendente Ausrichtung der Gesellschaftslehre (mit

Einschluß der Gegenüberstellung von Sein und Sollen), Freiheit

und Herrschaft, Abgrenzung gegenüber der Psychologie, Feldsozio-

logie, Fragebogentechnik und Statistik (mit Einschluß mathema-

tischer Verfahren), Qualität und Quantität (Kleinheit der Gemein-

schaften und Masse).

Wer könnte sagen, sie seien gelöst und daher veraltet? Die ganz-

heitliche Gesellschaftslehre gibt auf diese Fragen Antworten, die

angesichts der trotz zunehmender Wissenschaftlichkeit unserer Tage

wachsenden Ratlosigkeit immer von neuem zu prüfen, die Aufgabe

auch der Zukunft bleiben wird.

Bereits im Vorworte zur ersten Auflage der „Gesellschaftslehre“

(1914) sagt Spann hiezu bleibend Gültiges: „Die reine Begriffsarbeit

auf der einen Seite, die systematische Anknüpfung an die Philoso-

phie auf der andern — das muß jetzt in den Vordergrund treten.

Aber auch wenn einmal ein weitschichtiger, beschreibend-empirischer

Unterbau der Gesellschaftslehre vorhanden sein wird, wird beides

immer an erster Stelle bleiben müssen. Denn Beschreibung ist ohne Be-

griffe nicht möglich und die Urbegriffe der Gesellschaft,... nicht ohne

Philosophie. Also doch die Philosophie der erste Urgrund“ (Bd 4, 8).