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Daneben gibt es aber noch eine andere, eine inhaltliche, bildende
Entsprechung, die wir besser als Kategorie der Ebenbildlichkeit im /
weitesten Sinne fassen und die wir zunächst an dem Beispiel des besten
Schneiders klarmachen wollen.
Der beste Schneider in Wien, mag seine Arbeit auch unsympathisch
sein, sofern sie dem elenden Gigerltum modernen Ungeschmackes
dient, übt offensichtlich eine große Wirkung auf alle andere
Schneiderarbeit in Wien wie in den Landschaften aus. Er ist Muster
und Vorbild aller anderen Schneider, denn diese wollen als Glieder des
Schneiderstaates ihm gleichen, wollen gleichsam sein Ebenbild
werden. Der „ b e s t e S c h n e i d e r “ h e b t o h n e s e i n
Z u t u n d i e L e i s t u n g e n a l l e r a n d e r e n , sowie auch die
Ansprüche der Kunden an ihm ein Richtmaß haben. — Und dieser
Sachverhalt gilt überall. Es ist durchaus nicht gleichgültig, welche
Gipfelleistung („Standard-Leistung“) in einem Arbeitszweig
vorhanden ist, weil nach ihr sich das Mindere richtet. Die Leistungen
der führenden Lehrkanzeln an den Technischen Hochschulen eines
Landes, die Leistungen der führenden Ingenieure, führenden
Organisatoren (z. B. Unternehmer, Betriebsdirektoren), führenden
Werkmeister, Qualitätsarbeiter und so fort — sie alle bedingen ohne
ihr Zutun, daß wieder hochwertige Leistungen sich nach ihnen zu
richten suchen, sich an ihnen bilden, ihnen zu gleichen suchen! Wir
nennen dieses Verhältnis E b e n b i l d l i c h k e i t , sofern das
Niedere grundsätzlich dem Höheren gleicht, V o r b i l d l i c h k e i t ,
sofern das Niedere dem Höheren sich angleicht, ohne es zu erreichen
(so daß dieses „Vorbild“ bleibt). Wir könnten sie auch
s c h ö p f e r i s c h e E n t s p r e c h u n g nennen. Hier liegt keine
gleichwertige Gegenseitigkeit der Glieder vor wie in der baulichen
Entsprechung (Maschine : Arbeiter, Drehereiabteilung : Buchhalterei),
sondern hier wirkt gleichsam der Gipfel auf den Fuß, die große
Leistung bildend auf die kleine (bester Schneider :
Durchschnittsschneider : schlechter Schneider). Dies zeigt sich
deutlich auch im reinen Geistesleben. Ein Goethe war der innere
Richtpunkt für Novalis; Novalis für die ganze Romantik. Wo ein
Goethe herrscht, können ihm keine innerlich unpoetischen Schulen
e n t s p r e c h e n (wie vielleicht das Junge Deutschland, der moderne
Naturalismus, Impressionismus, Expressionismus), wohl aber kann
ihm die Romantik entsprechen. — Die s c h ö p f e r i s c h e
E i g e n s c h a f t d e r H ö c h s t l e i -