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lebendes Ganzes!) Denn die wirtschaftenden Personen blieben nach wie

vor Bürger des Staates . . Glieder der Familie . . ."

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Die geschichtliche Schule will die „ganze empirische Wirklichkeit“

in ihren Bannkreis ziehen und hat, wie man sieht, Mühe, überhaupt die

Wirtschaft als Teilinhalt (Objektivationssystem) aus Gesellschaft und

Geschichte herauszulösen, ja sie vermag dies in Wahrheit nicht; die

abstrakte Schule will dagegen nicht nur von der Vermischung der

Wirtschaft mit der Gesellschaft nichts wissen, sondern eine solche

„reine“ Wirtschaft zum Gegenstande nehmen, wie sie eigentlich

nirgends in der Geschichte erscheint. Sie will zwar die in Erfahrung und

Geschichte gegebenen wirtschaftlichen Erscheinungen mit dem

empirisch-realistischen Verfahren beobachtend schildern; jedoch als

Gegenstand der strengen Theorie nur eine solche gedachte Wirtschaft

anerkennen, die niemals Wirklichkeit werden könne, weil nur die rein

wirtschaftlichen Faktoren (Eigennutz!), nur die in g e d a c h t e r

I s o l i e r u n g wirksamen wirtschaftlichen Faktoren ihre Unterlage

bilden. Nicht die ganze Gesellschaft, wie bei Schmoller, noch die

empirische Wirtschaft ist hier Gegenstand der abstrakten Theorie,

sondern nur eine durch isolierende Abstraktion gewonnene, reine,

gleichsam destillierte Wirtschaft.

Wo ist hier die Wahrheit? Die geschichtliche Auffassung ist von

Anbeginn auf einem sicheren Weg, denn sie steht auf dem Boden der

erfahrenen Wirklichkeit und will nur den beschreibend-

geschichtlichen Weg einschlagen. Ihre Schwierigkeit, wie sie die volle

lebendige Wirtschaft als alleinigen, herausgelösten Gegenstand im Auge

zu behalten vermöge, da es doch nur e i n e ungeteilte gesellschaftliche

Wirklichkeit gibt — diese Schwierigkeit teilt sie zum Teil ja doch nur

mit der abstrakten Schule. Auch diese kann nämlich nach dem

„realistischen“ Verfahren Wirtschaft und Gesellschaft niemals streng

auseinanderhalten! Die Schwäche der geschichtlichen Schule wie des

realistischen Verfahrens beginnt also gleichermaßen erst dort, wo

theoretische Wissenschaft verlangt wird (statt bloß schildernder). Der

geschichtlichen Erfassung des Ganzen entschwindet jede Theorie,

ebenso aber auch der realisti- / schen Erfassung. Für jede wahrhaft

theoretische Betrachtung in unserer Wissenschaft

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Gustav Schmoller: Artikel Volkswirtschaftslehre (Handwörterbuch der

Staatswissenschaften, 1. Aufl., Bd 6, Jena 1894, S. 539 f.).