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versalistisch gedachte Freiheit als Werden sittlicher Kräfte im Individuum — das
ist ja auch ein Freiheitsbegriff! Auch für diesen wird es daher letzte Bedin-
gungen, Mindestmaße geben. Freilich sind sie viel beweglicher als für den Indi-
vidualismus, für die Autarkie; auch sind es a n d e r e Bedingungen als für den
Individualismus. Nicht nur sind jetzt Zwang und Erziehung auch Freiheitselemente,
während diese der Individualismus ausschließt; die e t h i s c h e Richtung für
alles Tun ist zugleich allgemeine Voraussetzung. Was dann, universalistisch ge-
sehen, als letztes, das heißt durchaus allgemeines Mindestmaß für vollkommenes,
freies Werden des Individuums zurückbleibt, ist nur noch Eines: ethische Auto-
nomie, das heißt aber nichts anderes als: Selbstverantwortung, e i g e n e s Schaf-
fen an sich selbst. Das Gefüge und innere Gesetz individuellen Handelns, kann
vom Universalismus nicht nur nicht geleugnet werden; er muß es im Gegenteil
voraussetzen.
Fehlerhafte Formen des Universalismus allerdings, welche den Staat verding-
lichen, können dem Einzelnen, sofern sie ihn als eigenlebendiges Glied vernach-
lässigen, nur unvollkommen gerecht werden, können letzte Menschenrechte als
Grundbedingungen politischer Gebilde und politischen Handelns nicht voll an-
erkennen. J e d e r U n i v e r s a l i s m u s a b e r , d e r d i e I n d i v i d u a l i -
t ä t a l s e i g e n e P o t e n z b e s t e h e n l ä ß t , k a n n u n d m u ß d e n
E i n z e l n e n a l s e i g e n a r t i g e , u n w i e d e r h o l b a r e , n a c h e i g e -
n e m i n n e r e n G e s e t z s c h a f f e n d e W e s e n h e i t a n e r k e n n e n . /
V.
Das größte Glück der größten Zahl
Schließlich möge noch des Benthamschen Grundsatzes, der die ausgebildetste
Form des Utilitarismus darstellt, kurz gedacht werden, wonach das größte mög-
liche Glück der größten möglichen Zahl, die „Maximisation der Glückseligkeit“,
als höchstes Ziel des Gemeinschaftslebens anzustreben sei. Dieser „sozialethische“
und politische Grundsatz, der Art und Maß der Staatsaufgaben feststellt, ist inso-
fern bedeutsam, als er den Versuch darstellt, über die reine Autarkie hinaus-
zugehen und ein i n h a l t l i c h e s Prinzip für die Konstruktion der Gesellschaft
auf individualistischer Grundlage zu finden, statt der rein formalen des Mindest-
maßes der Freiheitseinschränkung.
Zunächst fragt es sich, ob der Benthamsche Grundsatz wirklich reiner Utili-
tarismus sei? Zweifellos ist dies der Fall hinsichtlich des ersten Elementes jenes
Grundsatzes, des „größten Glückes“. Es geht auf äußere Glückseligkeit, die mit
Nutzen gleichbedeutend ist. Als rein utilitarisch ist dieses Moment zugleich rein
individualistisch. Das ist nach unseren früheren Erörterungen selbstverständlich
und gar nicht anders möglich — trotz der heute beliebten Verwahrung des Utili-
tarismus gegen die Gleichstellung mit dem Individualismus. — Was die univer-
sale Auffassung dem Begriffe des höchsten Glückes entgegensetzt, ist die höchste
geistig-moralische Entwicklung des Individuums in der Gemeinschaft; also: der
h ö c h s t e W e r t , nicht das größte Glück! Damit stellt sich ja der Univer-
salismus auf den rein ethischen Boden und hat dadurch den ewig uneinholbaren
Vorsprung vor jeder Art vom Individualismus voraus. Deshalb erscheint ihm
auch die Gemeinschaft ihrer Idee nach nur als Verkörperung ethischer Werte
schlechthin, dem Individualismus dagegen im besten Falle als nützliches Verhältnis,
das dem autarken Individuum dienlich zu sein vermag.