[175/176]
215
zifisch . . D i e Glückseligkeit hat subjektiven Inhalt, die geistig-moralische
Natur des Menschen ist dagegen in ihren Grundzügen o b j e k t i v festgelegt.
Daher ist nicht Glückseligkeit, sondern W e r t das maßgebende Prinzip, d a h e r
k a n n s i c h d i e G e s e l l s c h a f t i h r e r i n n e r s t e n N a t u r n a c h
n i c h t a u f d i e g r ö ß t e Z a h l e i n s t e l l e n , s o n d e r n n u r a u f
d i e d e m h ö c h s t e n W e r t a n g e m e s s e n e Z a h l . Wie die Gleichheit
durch Gerechtigkeit (welche nichts anderes ist als Angemessenheit), so muß auch
hier die größte Zahl ersetzt werden durch die angemessene, die würdige Zahl.
Praktisch heißt dies einfach: Staat und Gemeinschaft sollen nicht zur Masse der
Unbegabten herabgezogen werden, sondern den höchsten Kräften und Fähig-
keiten dienen, das heißt der Vergemeinschaftungskörper d i e s e r Kräfte sein.
Dann stellen sich in der Gemeinschaft die höchsten Werte dar, dann verkörpert
sie die Idee des Guten. Diese Tendenz ist zugleich innerstes Bildungsgesetz der
Gemeinschaft, das in Geschichte und Wirklichkeit immer sich durchzusetzen strebt.
Nivellierende Demokratien sind ebenso wie faule, entwertete Oligarchien, stets
ein Zeichen von Verfall und Niedergang der Gemeinschaft.
/
Zusammenfassend kann man sagen, daß die universalistische Entsprechung des
utilitarischen Satzes vom größten Glück der größten Zahl lauten würde: die
Gemeinschaft sei so zu gestalten, daß die höchste Ausbildung der höchsten Werte
erreicht werde; kürzer: h ö c h s t e r W e r t , a n g e m e s s e n e Z a h l . Im
platonischen Staate ist dieser Grundsatz richtig verwirklicht, indem einerseits nur
die Philosophen herrschen, andererseits nur solche der Philosophie teilhaftig wer-
den, die ihrer fähig und würdig sind.
Schlußbemerkung
Überblickt man diese Untersuchung der politischen Grundsätze
auf ihre verfahrenhafte Natur hin, so ergibt sich zuerst: daß die
politischen Grundsätze, wie sie in den Begriffen der Freiheit, Gleich-
heit, Gerechtigkeit usw. niedergelegt sind, nur gesellschaftstheore-
tisch, nur durch Erkenntnis ihres Gehaltes an individualistischer
oder universalistischer Vorstellung vom Wesen und Aufbau der
Gesellschaft von Grund auf verständlich werden können. Die Not-
wendigkeit der Bezugnahme auf diese gesellschaftstheoretischen
Ausgangspunkte an jeder Stelle der Untersuchung hat dies unwi-
derleglich gezeigt. — Es ergibt sich ferner: daß die politischen
Grundbegriffe alle untereinander eng Zusammenhängen, im Begriffe
der Freiheit aber die individualistische, in jenem der Gerechtigkeit
die universalistische Auffassung ihren Mittelpunkt hat. Freiheit
führt zur Gleichheit dort, zur Gerechtigkeit hier; Freiheit führt
zugleich zur Bestimmung der zulässigen Staatseingriffe, damit zur
Bestimmung der ursprünglichen Freiheits- oder der Menschenrechte,
wie zur Bestimmung der Staatsaufgaben, ihrer Art, ihres Maßes. So
1
1
Kant: Kritik der praktischen Vernunft, ... S. 25.