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Eine eigene Untergruppe der psychologischen Richtung bildet die
Massenpsychologie, deren Gegenstand die „Kollektiv- oder Massenseele“
ist. Die Massenseele soll in eigentümlichen Erscheinungen bestehen, die
durch geistige Vereinigung vieler Individuen bedingt werden. Man denke
etwa an einen Volksauflauf. „Masse“ ist nach Le Bon „eine Vereinigung
irgendwelcher Individuen von beliebiger Nationalität, beliebigem Berufe
und Geschlecht und beliebigem Anlasse der Vereinigung“
1
. Vorherrschaft
des Instinktiven im Handeln; Vorherrschaft unbewußter (weniger
intellektueller) Regungen, Orientierung aller Gefühle und Gedanken der
Masse in gleicher Richtung durch Suggestion und Ansteckung; Tendenz
zur unverzüglichen Verwirklichung der suggerierten Ideen
charakterisieren vornehmlich die „Masse“.
/
Vergleiche ferner S c i p i o S i g h e l e : Psychologie des Auflaufs und der
Massenverbrechen, deutsch von Hans Kurella, Dresden 1897.
Die „revolutionäre Masse“ behandelt, zum Teil im Gegensatz zu Le Bon, T h e o d o r
G e i g e r : Die Masse und ihre Aktion, Stuttgart 1926. — Aus dem übrigen modernen
Schrifttum über Massenpsychologie sei noch hervorgehoben: Georg Stieler: Person und
Masse, Leipzig 1929.
Eine ähnliche Sonderstellung wie die Massenpsychologie nimmt die
von den Herbartschülern M o r i t z L a z a r u s u n d H e y m a n n
S t e i n t h a l begründete sogenannte Völkerpsychologie ein
2
.
Vergleiche außer den jetzt veralteten Werken von Lazarus und Steinthal: W i l h e l m
W u n d t : Elemente der Völkerpsychologie, 2. Auflage, Leipzig 1913, und dessen
zehnbändiges, stoffreiches Werk: Völkerpsychologie, Leipzig 1909—1921 (behandelt:
Sprache, Kunst, Religion, Recht). T h e o d o r W i l h e l m D a n z e l : Magie und
Geheimwissenschaft in ihrer Bedeutung für Kultur und Kulturgeschehen, Stuttgart 1924.
Z u s a m m e n f a s s u n g . In allen den genannten psychologischen
Richtungen der Gesellschaftslehre wird die „psychische Wechselwirkung“
der Einzelnen zur gesellschaftlichen Grundtatsache und zum eigentlichen
Gegenstand der Soziologie. Sie kommen im letzten Grunde mit dem
Standpunkte Simmels überein. Die unten
1
Gustave Le Bon: Psychologie des foules, 2. ed., Paris 1900, deutscher Titel: Psychologie
der Massen, übersetzt von Rudolf Eisler, 3. Aufl., Leipzig 1908, S. 9 (=
Philosophisch-soziologische Bücherei, Bd 2). Le Bon ist zugleich Rassen- / theoretiker
Gobineauscher Richtung.
2
Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Berlin 1860 ff.
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