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nens liegt also darin, daß der Geist die Dinge mitlebend befaßt, was

in der Eingebung sich kundgibt, gleichwie er selbst von einem Hö-

heren befaßt wird.

Die Wissenschaft entwickelt, das ist unser Ergebnis, den Begriff.

Der Begriff, das entfaltete Denken, führt aber wieder auf den Ein-

gebungsgrund, auf das Geschaute, das Unmittelbare zurück. So liegt

in ihr als einer Vermittelbarung zugleich wieder eine Verunmittel-

barung.

Das bestätigt nun die Geschichte der Wissenschaft insofern, als alles alte Wis-

sen eingebungsvoll und mit dem heiligen Sinn verknüpft ist; als wir ferner die

Einzelwissenschaften ursprünglich überall in der Philosophie enthalten und erst

langsam aus ihr sich absondern sehen. — Andrerseits scheint aber gerade die

neuzeitliche Wissenschaft dem zu widersprechen. Denn das naturwissenschaftliche,

das heißt das mathematisch-mechanische Denken verlangt zu seinem Verständ-

nisse nicht den Rückgang auf Eingebungen, sondern behauptet nur, einerseits auf

bloßer Tatsachenkenntnis („Induktion“) zu beruhen, andrerseits die logische

Verarbeitung dieser Tatsachen durch Bildung von Allgemeinbegriffen zu sein.

Daher be- / hauptet die Naturwissenschaft, nur sie vermittle wahres, sicheres

Wissen, das auf Eingebung zurückgehende dagegen sei subjektiv, mehr Künstler-

tum als Wissenschaft. — Unsere Stellungnahme zu diesem Standpunkte haben

wir wiederholt begründet

1

. Es ist durchaus der Standpunkt der Aufklärung,

des Empirismus, der ursächlich-mechanischen Weltansicht, der im naturwissen-

schaftlichen Denken zur Geltung kommt. Wir können ihm nur eine untergeord-

nete, bedingte Wahrheit zuerkennen.

Daß jene Wissenschaft, die der menschlichen Urzeit nahesteht, als eine auf in-

neres Schauen hinweisende, eine durchaus mystische und metaphysische zu kenn-

zeichnen ist, dürfte heute kaum mehr bestritten werden. Was uns von der Wis-

senschaft magisch-metaphysischer Zeit als pythagoreische Zahlensymbolik und

Geometrie (als „qualitative Mathematik“, nicht als äußerlich-mengenhafte, sum-

mative Mathematik, wie wir heute sagen würden) oder als metaphysische Ster-

nenkunde und Astrologie oder als Versenkungslehre (z. B. Joga; Verwandtes fin-

den wir noch öfter in den Jugendweihen der Naturvölker) übrig geblieben ist —

es wird vom Standpunkte des heutigen ursächlich-mechanischen Wissensbegriffes

aus belächelt. Und soviel ist an dieser Ablehnung richtig, daß jene metaphysische

Wissenschaft unsere heutige zerlegend-begriffliche und ursächlich-mechanische nicht

ersetzen kann. Aber unrichtig ist, daß jene metaphysische Wissenschaft in sich

grundsätzlich falsch wäre. Vielmehr, weil sie eine andere Aufgabe hat, vermittelt

sie eine andere Einsicht als die mechanistische und zerlegende, die „exakte“ Wis-

senschaft von heute. Diese „exakte Wissenschaft" weist dem Menschen die Dinge

auf, wie sie von außen her gesehen werden. Sie ist überall dort richtig und nütz-

lich, wo der Mensch einmal in jene äußerliche, mechanische Stellung zur Natur

kam, auf die er heute so stolz ist; und sie ist ihm als Grundlage der „Technik“,

des „Könnens“, sowie zur Wahrung seiner Stellung in Natur und Leben über-

haupt dienlich.

1

Vgl. oben S. 89 ff.,96 f. und 106.