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stand der ewigen Ruhe gelangen; er kann nicht durch Nichtstun die

Vollkommenheit erreichen“

1

.

Dieser Standpunkt ist es, den man einnehmen muß, um die Welt-

stellung zu verstehen, welche die Mystik dem Menschen zuweist.

Meister Eckehart sagt: „Darum sind wir gesetzt in diese Zeit, daß

wir von zeitlichem, vernünftigem Gewerbe Gott näher und gleicher

werden“

2

. — Der tiefe Sinn dieser Worte ist aber: Das Leben ist

ein Weg zu Gott. Und dieser Weg geht nicht abseits von der Welt,

sondern durch die Welt hindurch. Der Weg durch die Welt hin-

durch, das ist die Geschichte. Sie soll ein Weg der Vergottung der

menschlichen Seele und des gesamten Menschengeschlechtes werden.

Darum lesen wir bei Meister Eckehart auch die gewichtigen Worte:

„ . . . denn Gott ist nicht ein Zerstörer der Natur, vielmehr er voll-

bringet sie“

3

.

Die Geschichtsauffassung der Mystik ist uns dadurch klar vor-

gezeichnet. Wenn der einzelne Mensch eine Geschichte hat, / die in

ihrem letzten, höchsten Ziele Vergottung ist; wenn der einzelne

Mensch ein Glied der Menschheit ist; wenn die Menschheit ein Glied

des Alls (das führende Glied) ist; dann muß die gesamte Mensch-

heit und mit ihr das All eine Geschichte haben. Freilich haben sich

die Mystiker darüber nicht in entwickelten Lehrbegriffen aus-

gesprochen. Das war aber ihre Sache insofern nicht, als ihnen jene

Unmittelbarkeit des Einzelnen zu Gott vor allem anderen am Her-

zen lag. Daß sie aber im Einzelnen immer das Ganze meinen, spricht

aus allen ihren Worten. Meister Eckehart sagt: „Alle Gaben, die

Gott uns gab im Himmel und auf Erden, die gab er nur um Einer

Gabe willen: das ist Er selber, der sich schenken will; und alle Werke,

die Gott wirkt im Himmel und auf Erden, die wirkte er um Eines

Werkes willen, das ist die Seligkeit, damit er uns will selig machen"

4

.

— „Gott tut, ... daß er der Seele gefalle und wie er sich schmücke

dazu, daß er die Seele allein an sich ziehe. Darum will der Mensch

nun eines, nun ein anderes: nun übet er sich an Weisheit, nun an

Kunst. Wenn sie des einen nicht hat — darum ruhet die Seele nim-

1

Bhagavadgita, III, 4.

2

Meister Eckehart, Ausgabe Franz Pfeiffer, Seite 49, Zeile 29—31.

3

Meister Eckehart, Ausgabe Franz Pfeiffer, Seite 18, Zeile 5 f.

4

Meister Eckehart, Ausgabe Franz Pfeiffer, Seite 569, Zeile 38—40 und

Seite 570, Zeile 1—3.