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daß das Ich dazu gebracht werde, die Selbstheit aufzugeben, sich selbst wieder

zur reinen Potenz Gott gegenüber zu machen, zum bloßen Leiter, Nichtprinzip,

während es durch den Abfall selbst Prinzip wurde.

Der innere Weg zu dieser Geschichte ist, sagt Schelling, dem menschlichen

Selbstbewußtsein vorgezeichnet. Die innere Geschichte des menschlichen Selbst-

bewußtseins ist der Inbegriff der Geschichte des Weltalls

1

.

Der Mensch findet sich in Ungleichheit zum Gesetz. Der S t a a t tritt ihm

darum als äußere Zwangsordnung (jedoch nicht im utilitarischen, sondern sitt-

lichen Sinne) gegenüber. Aber „das Gesetz ist unvermögend ihm (dem Menschen)

ein Herz zu geben“, es bewirkt vielmehr „daß zuletzt a l l e s sittliche Handeln

als verwerflich . .. erscheint“

2

. „Doch eben hier, wo der Zweck des Gesetzes, die

Negation des Ich, schon so gut wie erreicht ist, tritt ein Wendepunkt ein“. Für

das Ich nämlich ist die Möglichkeit da, sich selbst als Wirkendes aufzugeben, sich

der Unseligkeit des Handelns zu entziehen, „vor dem Drängen des Gesetzes ins

beschauliche Leben zu flüchten.“ „ D a m i t t r i t t d e r M e n s c h a u f d i e

S e i t e G o t t e s h i n ü b e r.“

3

Das Aufgeben des / Handelns läßt sich aber auf

die Dauer nicht durchsetzen. Es muß gehandelt werden. Die letzte Verzweiflung

bemächtigt sich des Ich. „Darum verlangt es nun nach Gott selbst.“

„ I h n , I h n will es haben, den Gott, der handelt, bei dem eine Vorsehung

ist, der als ein s e l b s t t h a t s ä c h l i c h e r d e m T h a t s ä c h l i c h e n

d e s A b f a l l s e n t g e g e n t r e t e n kann, kurz der der

Herr

des Seyns

ist.. .“

4

. Dieses Verlangen ist R e l i g i o n

5

.

Die Welt, in der wir leben, das folgt aus dieser Lehre, setzt eine intelligible

Tat voraus, die nicht der Sinnenwelt angehört. U r t a t , z u g l e i c h U r -

s c h u 1 d steht am Beginne der außergöttlichen Welt. Der Anfang der außer-

göttlichen Welt fällt nicht in diese selbst, sondern in die Ideenwelt. Diese Lehre

Schellings von dem intelligiblen Wesen der menschlichen Freiheit ist jener Kan-

tens verschwistert: Freiheit hat ein die Sinnenwelt überhöhendes (transzendieren-

des) Wesen.

Der Mensch ist mit dem Abfall unter die Herrschaft des blinden Seins geraten,

A

1

ist zu B geworden, die stoffliche Natur tritt hervor. Daher treten auch,

schließt Schelling, die

Naturpotenzen

(welche früher die Naturphilosophie ent-

wickelt hat) als Gott in die Vorstellungswelt des Menschen ein. Die T h e o -

g o n i e o d e r A u f e i n a n d e r f o l g e v o n G ö t t e r n i s t e i n P r o -

z e ß , d e r s i c h i m m e n s c h l i c h e n B e w u ß t s e i n v o l l z i e h t .

Schelling unterscheidet:

I. Das Urbewußtsein: Der Urmensch war eingeschlossen zwischen den drei

Potenzen, die an ihm gleichen Teil haben. Das gemeinsame Gottesbewußtsein be-

ginnt zu zerfallen.

II. Den Übergang zum Prozeß. Der Mensch wendet sich dem einen Prinzip

(B) ausschließlich zu und fällt in dessen Gewalt; der schwächliche Urmonotheis-

mus zerfällt. Indem das gemeinsame Gottesbewußtsein zerfällt, entstehen erst die

Rassen und Völker.

1

Schelling: Sämtliche Werke, Bd 8, S. 207 und 200 ff.

2

Schelling: Sämtliche Werke, Bd 11, S. 555 und 428.

3

Schelling: Sämtliche Werke, Bd 11, S. 556.

4

Schelling: Sämtliche Werke, Bd 11, S. 566.

5

Schelling: Sämtliche Werke, Bd 11, S. 568.