Table of Contents Table of Contents
Previous Page  66 / 427 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 66 / 427 Next Page
Page Background

66

[70/71]

einem solchen Sinne verstehen, wie er den physikalischen Be-

wegungen entspricht, fassen die Geschichte naturwissenschaftlich

auf, nämlich, wie uns schon früher aufgestoßen, als „soziale Dyna-

mik“, welche gegen eine „soziale Statik“ (oder Theorie von den Ge-

setzen im allgemeinen) steht. Aber auch jene Lehren, welche die

Geschichte aus biologischen Veränderungen der Rasse herleiten, sei

es durch Mischung der Erbmassen nach / den Mendelischen Gesetzen

oder durch Auslese der Tüchtigsten im Kampfe ums Dasein nach

Darwin oder durch Anpassung nach Lamarck, sind als naturwissen-

schaftlich zu bezeichnen. Denn stets läuft es darauf hinaus, daß die

Weltgeschichte als ein gesetzlich ablaufendes Geschehen erscheint.

Diese naturwissenschaftliche Betrachtung der Geschichte trat uns

entgegen in den Lehrbegriffen von Buckle, Comte, Taine, Spencer,

Darwin und Haeckel („Höherbildung des Typus Mensch“), in der

Kant-Laplacischen Hypothese (das Geschehen vom Urnebel bis

heute, eindeutig naturgesetzlich bestimmt) und schließlich in der

„Laplacischen Weltformel“, welche dazu führen würde, alle Schlach-

ten und Geschehnisse im voraus zu berechnen. — Ebenso steht es

aber auch mit der Rassentheorie Gobineaus

1

, welche aus den Natur-

vorgängen der Rassenmischung und mit der Geschichtslehre Mar-

xens, welche aus dem Naturgesetze der Wirtschaftsentwicklung, der

„Konzentration“, den Ablauf der Geschichte erklären will. Die gei-

stigen Geschehnisse werden von keinem dieser Lehrbegriffe geleug-

net, aber sie werden entweder aus bestimmten naturhaften Vor-

bedingungen (Umwelt, Rasse, Wirtschaft) oder aus allgemeiner na-

turgesetzlicher Bestimmtheit des Geschehens überhaupt (Comte)

erklärt.

Es bedarf nicht vieler Worte, um klarzumachen, daß alle diese

mehr oder weniger bewußt oder unbewußt naturwissenschaftlichen

Geschichtslehren grundsätzlich hinfällig sind. M e c h a n i s c h e r

A b l a u f i s t k e i n e G e s c h i c h t e . Mechanik ist das Gegen-

teil von Geschichte. Was mit mechanischer Notwendigkeit bestimmt

ist, hat keinen sinnvollen Zusammenhang mehr, sondern ist nur

eine Abfolge. Mechanischer Ablauf schließt sinnvolle Fortbildung,

sinnvollen Zusammenhang aus. Wo Geschichte ist, ist daher kein

1

Über alle diese Verfasser oben, im lehrgeschichtlichen Teil, S. 26 ff.