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in der / Geschichte wird durch die unmittelbar in den Begebenheiten

auftretenden nicht erschöpft.“ Neben Boden, Klima, Geistesfähigkeit

der Völker und Einzelnen, Wissenschaft, Kunst, Einrichtungen

„bleibt ein noch wichtiger wirkendes, nicht in unmittelbarer Sicht-

barkeit auftretendes, aber jenen Kräften selbst den Anstoß und die

Richtung verleihendes Prinzip übrig, nämlich Ideen, die ihrer Natur

nach außer dem Kreise der Endlichkeit liegen, aber die Welt-

geschichte in allen ihren Teilen durchwalten und beherrschen. Daß

solche Ideen sich offenbaren ... leidet keinen Zweifel...“ „Das Ziel

der Geschichte kann nur die Verwirklichung der durch die Mensch-

heit darzustellenden Idee sein . . . “ .

Der Geschichtsschreiber L e o p o l d v o n R a n k e hat eine der

Humboldtischen verwandte geschichtliche Ideenlehre an verschiede-

nen Stellen seiner Schriften angedeutet

1

. Die geschichtlichen Ideen

sind ihm die jeweils herrschenden „Tendenzen“ eines Zeitabschnittes.

Über diese hinaus kann der Geschichtsschreiber nicht kommen, ob-

wohl Ranke überzeugt ist, daß ein einheitlicher Weltplan der Ge-

schichte zu Grunde liegt. — Groß ist Ranke dadurch, daß er den

B e g r i f f d e s F o r t s c h r i t t e s entschlossen ablehnt und

den Eigenwert der geschichtlichen Zeitalter, Kulturen und Menschen

hervorhebt. „Der Fortschritt, welcher das jeweils letzte Geschlecht

allemal bevorzugte, wäre eine Ungerechtigkeit der Gottheit. Eine

solche gleichsam mediatisierende Generation würde an und für sich

eine Bedeutung nicht haben; sie würde nur insofern etwas bedeuten,

als sie die Vorstufe der nachfolgenden Generation wäre und würde

nicht in unmittelbarem Bezug zum Göttlichen stehen. Ich aber be-

haupte: J e d e E p o c h e i s t u n m i t t e l b a r z u G o t t , u n d

i h r W e r t b e r u h t g a r n i c h t a u f d e m , w a s a u s i h r

h e r v o r g e h t , s o n d e r n i n / i h r e r E x i s t e n z s e l b s t ,

i n i h r e m e i g e n e n S e l b s t . Dadurch bekommt die Betrach-

tung der Historie, und zwar des individuellen Lebens in der Hi-

storie einen ganz eigentümlichen Reiz, indem nun jede Epoche als

etwas für sich Gültiges angesehen werden muß . . .“

2

.

1

Leopold von Ranke: Weltgeschichte (1881—1888), Vorträge Rankes bei

König Max von Bayern vom 25. September 1854 bis 13. Oktober 1854, voll-

endet und herausgegeben von Alfred Dove, Leipzig 1895, Bd 4, Anhang.

2

Leopold von Ranke: Die Epochen der neueren Geschichte, 1. Vortrag (Von

mir gesperrt, Spann).