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bloßer Ablauf; wo Ablauf ist, ist kein sinnvoller Zusammenhang,

ist keine Geschichte.

/

„Ablauf“ ist aber ganz allgemein dort, wo geschlossene Natur-

ursächlichkeit ist. Chemische Stoffe, in einen Tiegel geworfen, ver-

binden sich auf bestimmte Weise. Was sich hier abspielt, ist ein „Ab-

lauf“, ist naturursächlich bestimmte Abfolge, aber keine Geschichte.

Überall wo geschlossene, eindeutige Naturursächlichkeit herrscht, ist

keine Geschichte. Ein Mechanismus hat keine Geschichte. Das

F a l l e n n a c h d e m F a l l g e s e t z e h a t k e i n e G e -

s c h i c h t e .

Der Begriff des Ablaufs zeigt sich bei näherem Zusehen auch da-

durch bestimmt, daß das Geschehen von letzten Bestandteilen aus-

geht, von Elementen, Atomen. In ihnen liegt die einzige Wirklich-

keit. Aus ihren Bewegungen und ihrem Zusammenkommen ent-

stehen exakt berechenbare „Komplexe“, „Resultanten“, z. B. nach

dem Gesetze des Parallelogramms der Kräfte. Was die Geschichts-

schreibung vor sich hat, wären nur solche „Resultanten“. Aber wenn

die Elemente, die Atome, eine Geschichte hätten, so wäre sie nur in

ihrem Innern. Die Anhäufung einzelner Elemente hat keine Ge-

schichte, weil sie keine Wirklichkeit hat. — Immer wieder zeigt sich:

„Ablauf“ schließt Geschichte aus.

Daraus folgt: Naturwissenschaffliche Geschichtsschreibung ist ein

Widerspruch in sich. Das Wesen der Naturvorgänge — als mechani-

sches Geschehen aufgefaßt, als Geschehen, das von Elementen her-

stammt — führt nicht zum Begriff der Geschichte, sondern zum

Begriff des Mechanismus und des ursächlichen Gesetzes.

Die Geistesgeschichte des letzten Jahrhunderts hat gleichwohl

viele Versuche naturwissenschaftlicher Geschichtsschreibung gezeitigt.

Und man sagt nicht zuviel, wenn man behauptet, daß auch die heute

herrschende Geschichtsschreibung noch wesentlich von naturwissen-

schaftlichen Gesichtspunkten mitbestimmt wird. Die ungeheuren

Erfolge der Naturwissenschaften haben auch die Geschichtsforscher

dazu verleitet, die naturwissenschaftlichen / Verfahren auf die Ge-

schichte zu übertragen. Das geschah durch Übernahme der „Induk-

tion“ sowie des mechanischen Entwicklungsbegriffes. Das „induktive

Verfahren“ sollte durch planmäßige Heranziehung von Urkunden

und durch „Quellenkritik“ auch für die Geschichtsforschung nutzbar

gemacht werden. Damit hat man zweifellos Erfolge erzielt, aber