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[288]

B.

Die B e g r i f f s e n t f a l t u n g o d e r

P r o b l e m f o l g e

349

Die früheren Beispiele der Aufgabenstellung zeigen aber auch

deutlich die Grenzen jedes äußeren Einflusses, sie zeigen, welche be-

deutende Stellung die r e i n e E i g e n e n t w i c k l u n g i n d e r

W i s s e n s c h a f t behält, wie wenig sie nämlich über die jeweilige

innere Entwicklung der Begriffe, des Wissens, wie wenig sie über die

Fragestellung, die im jeweiligen Stande der Begriffe und Kenntnisse

selbst liegt, hinauskommt.

So kann die Chemie erst in den Dienst der Herstellung von Anilinfarben,

Edelsteinen, Arzneien usw. gestellt werden, also Aufgaben des Gewerbes, der

Medizin, Physiologie aufnehmen, sobald sie die nötigen Begriffe, Theorien,

Kenntnisse dazu s e l b e r ausgebildet hat. Die Chemie mußte vorher selber den

Zucker in der Rübe entdeckt haben, bevor sie die kräftige Anregung der Kon-

tinentalsperre aufnehmen konnte. Umgekehrt konnten die Tier- und Pflanzen-

züchter trotz allseitig angestrebter Verbindung mit dem Darwinismus und seinen

Vererbungslehren nichts ausrichten, das heißt diese Vererbungstheorien nicht zur

Lösung der gestellten Aufgaben verwerten, weil sie falsch waren. Da aber die

Wissenschaft im Mendelismus aus eigenen Voraussetzungen, aus eigener folge-

richtiger Fortentwicklung ihrer Begriffe und Fragen heraus, zu Wahrheiten ge-

kommen ist, welche auch die Vererbungsvorgänge aufklären, können sich nun

die Züchter dieser Wahrheiten bemächtigen und sie anwenden.

Die Aufgabenstellung von außen her nützt also dann nichts, wenn

die Wissenschaft nicht die eigenen, begrifflichen Mittel hat, um an

diese Aufgaben überhaupt heranzukommen. Ich möchte jene Er-

scheinung die Entwicklung der Wissenschaft aus eigener Problem-

folge oder eigener B e g r i f f s - u n d F r a g e n e n t f a l t u n g

nennen.

Die eigene Begriffsentfaltung tritt als selbständige Entwicklungs-

grundlage der Wissenschaft neben die gesellschaftliche Aufgaben-

stellung. S o f e r n erst auf Grundlage der Begriffsentfaltung die

Übernahme der gestellten Aufgabe möglich ist, gilt: die Be-

g r i f f s e n t f a l t u n g h a t d e n V o r r a n g v o r d e r A u f -

g a b e n s t e l l u n g .

Der eigenen logischen Begriffsentfaltung entspricht psychologisch das, was man

den reinen Erkenntnis- und Forschungstrieb und die reine Freude an der Wahr-

heit nennt, die durch praktische Rücksichten nicht beeinflußt, allein vom inneren

Stande der Fragen und Begriffe getrieben wird. — In der Kunst entspricht der

Begriffsentfaltung die S t i l e n t f a l t u n g , d e r S t i l .