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e n t g e g e n k o m m t.“

1

„Die wissenschaftliche Forschung hat überall den

Schein zerstört, der alte Glaube an die gottbeseelte Natur ist längst gebrochen,

und dennoch bleibt jene Befreundung des Gemütes mit der Natur eine Wahr-

heit .. .“

2

.

Der Verfasser dieses Buches hat an anderer Stelle seine eigene

Auffassung vom Wesen der Kunst zum Unterschiede von der Wis-

senschaft dahin näher erklärt

3

: daß beide, Wissen und Kunst, zuerst

auf Eingebung beruhen, daß aber im Wissen sich das Ich die Einge-

bung als G e g e n s t a n d (Objekt) entgegensetzt und diesen Ge-

genstand im verarbeitenden und zerlegenden Denken (dem diskur-

siven Denken) immer weiter in Gegenstände zerlegt; die Kunst da-

gegen die Eingebung als G e s t a l t ergreift, wobei die Trennung

von Ich und / Gegenstand, die im Bewußtsein liegt, wieder aufge-

hoben wird. „Gestalten“ heißt aber, in einem bestimmten Mittel

ausdrücken. Überall wo Ausdruck ist, ist daher Gestalt. Schon die

Gebärde ist Ausdruck, ist Gestalt, das Wort, die Sprache ist Aus-

druck, ist Gestalt. Je nach dem Mittel, dem Stoffe des Ausdruckes

(Wort, Ton, Farbe und so fort) ergibt sich dann (infolge der von

mir so genannten „Gezweiung höherer Ordnung“) die E i n t e i -

l u n g d e r K ü n s t e .

II. Die Stellung der Kunst in Gesellschaft und Leben

„Lerne im Leben die Kunst,

im Kunstwerk lerne das Leben.“

4

Was bedeutet die Kunst im Leben, was bedeutet sie damit auch im

Haushalte des objektiven Geistes, der Gesellschaft — denn das gei-

stige Leben des Einzelnen ist nur gliedhaft, nur in Gezweiung denk-

bar. Dies ist die Frage, die wir hier ebenso wie bei der Behandlung

der Wissenschaft vom Standpunkte der Gesellschaftslehre aus zu

stellen haben.

1

Dies mögen die psychologischen Einfühlungstheoretiker bedenken! Ludwig

Uhland sagt hier bezeichnenderweise nichts anderes als Schelling mit seiner denk-

würdigen Frage: „Wie kommt die Natur dazu, (vom Geiste) erkannt zu wer-

den?“ — Antwort: Weil sie selbst Geist ist.

2

Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder II, 15.

3

Vgl. mein Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 270 ff.

(= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 3).

4

Friedrich Hölderlin.