Table of Contents Table of Contents
Previous Page  1773 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 1773 / 9133 Next Page
Page Background

[310/311]

375

Standes und dieses in seinem metaphysischen Lichte darzustellen,

so ist sie selber durch und durch sittlich und braucht daher weder

künstlich und durch Gedanken (tendenzhaft) auf das Sittliche hinzu-

führen; noch kann sie vom Sittlichen frei und los sein („l’art pour

l’art“), da auf ihrer Ebene nur das Gute weilt und das Schlechte kein

Leben findet. Die K u n s t k a n n d i e W e l t n i c h t a l s

s i t t l i c h b e h a n d e l n , s o n d e r n a l l e i n a l s s c h ö n ,

a l s g e s t a l t e t . A b e r i n d e r S c h ö n h e i t e r h a l t e n

d i e D i n g e d e n A b g l a n z d e s Ü b e r i r d i s c h e n —

u n d d a r u m s i n d s i e a l s s c h ö n e z u l e t z t s o w o h l

s i t t l i c h w i e r e l i g i ö s . Indem daher die Kunst bei sich

selbst bleibt, wirkt sie zuletzt sittlich, moralisiert aber und predigt

dennoch nicht. Diese Wahrheit enthält schon das Gebet der alten

Spartaner, das uns Platon überliefert hat:

„τά

καλά

έπι τοΐς άγα'θοΐς“,

das wir mit Willmann übersetzen dürfen: Das Schöne nach dem

Guten, das Schöne ruht auf dem Grunde des Guten

1

.

Die Entsprechung des Schönen und Guten führt auf das

S c h ö n g u t e , die

χαλλοηαγαθία

der Griechen. Das Tiefe und

Richtige an dem Begriffe des Schönguten ist, daß die Sittlichkeit

nicht nur im Sollen des Handelns besteht, sondern eine Vervoll-

kommnung aller Gebiete des Geistes bedeutet (was allerdings im

Handeln zuletzt ausschlagen und sich zeigen muß). Indem nun die

Vervollkommnung der Kunst ebenso eine sittliche Aufgabe ist, wie

jede andere Vervollkommnung, ist auch Kunst, ist auch Schönheit

ein Teil der Sittlichkeit. Die Sittlichkeit entbehrt daher in sich

selbst nicht des Schönen.

3.

K u n s t u n d S t a a t

Von dem innigen Zusammenhange des Kunst- und Staatslebens

weiß man heute nichts, wo man sowohl den Staat wie die Kunst

individualistisch auffaßt. Versteht man aber / beide als verschie-

dene Äußerungsformen des Einen geistigen Gemeinschaftslebens,

dann wird man auch ihrer Zusammengehörigkeit inne. Wird der

Staat als eine schöpferische Veranstaltung (Organisation) geistigen

1

Platon: Duo dialoghi: Alcibiades posterior vel de voto et Menexenus sive

Epitaphius, 2. Dialog, 148c, angeführt bei Otto Willmann: Philosophische Pro-

pädeutik, 3 Teile, Teil 1: Logik, 3. und 4. Aufl., Freiburg i. B. 1912, S. 143 ff.