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[309/310]

B.

Das a r t e i g e n e V e r h ä l t n i s d e r K u n s t

z u d e n ü b r i g e n g e s e l l s c h a f t l i c h e n T e i l g a n z e n

1 . K u n s t u n d R e l i g i o n

Bekannt ist die enge Verbindung von Kunst und Religion in

ihrer Entwicklung. Die Entstehung des griechischen Dramas aus den

Dionysien und Mysterien; und wahrscheinlich der deutschen Leiche

aus uralten Mysterienspielen; ferner der enge Zusammenhang von

Tanzkunst und Musik hierbei; die Entwicklung der Baukunst aus

der Aufgabe, Tempel und Göttermale zu bauen, der Zusammenhang

von Plastik und Malerei damit — das sind unter anderem die be-

zeichnendsten Grundtatsachen. Unter primitiveren Verhältnissen

wäre noch die Bedeutung von Sprüchen, Gesängen, Tätowierungen,

Schmuckstücken für den religiösen Kult, für Geisterbeschwörungen

und fetischistische Handlungen hervorzuheben. — Man darf dieses

enge Verhältnis von Kunst und Religion aber nicht äußerlich neh-

men, wie es die naturalistische Soziologie tut. Es ist eine innere, eine

'Wesensverwandtschaft, die beide aneinanderkettet. Die Kunst ist

metaphysischer Natur, und nicht umsonst muß Goethe das Ende des

Faust, muß Mozart das Ende Taminos in den Himmel setzen.

„Es geht durch alle Völker und Zeiten ein unabweisbares Gefühl von der

Ungenüge des irdischen Daseins, und daher das tiefe Bedürfnis, dasselbe an ein

höheres... anzuknüpfen. Und dieses Streben... ist eben die Religion. Wo aber

dieses religiöse Gefühl wahrhaft lebendig ist, wird es sich nicht mit müßiger

Sehnsucht begnügen, sondern in allen bedeutenderen Erscheinungen / des Lebens

sich abspiegeln; am entschiedensten in der Poesie, deren Aufgabe, wenngleich auf

anderem Gebiet und mit anderen Mitteln, offenbar mit jenem Grundwesen der

Religion zusammenfällt. ..“ „Alle Revolutionen der Poesie sind durch die Reli-

gion gemacht worden.“

1

2. K u n s t u n d S i t t l i c h k e i t

Hier stehen einander die beiden Auffassungen des „l’art pour

l’art“ und der Kunst als eines zweckdienlichen Erziehungsmittels

(moralisierende Kunst) gegenüber. Beide Auffassungen sind falsch.

Wenn die Kunst darin besteht, uns das innere Wesen des Gegen-

1

Joseph Freiherr von Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur

Deutschlands, neu herausgegeben von Wilhelm Kosch, 2 Bde, Kempten 1906,

Bd 1, S. 19 (= Sammlung Kösel, Bd 10— 11).