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gemacht. Erst im letzten Jahrzehnt sind Strömungen zur Herrschaft gekommen,

welche die nationale Einigung anstreben. Es vollzieht sich da vor unseren Augen

das seltene Schauspiel der Bildung einer Nation aus zwei Brudervölkern. — Die

neuere anthropogeographi- / sche Bewegung betrachtet den geographischen

Raum (Klima, Bodenbeschaffenheit usw.) als Grundlage der Entstehung der

Volkheiten (wie der Staaten), wenn auch nicht als eigentliches Merkmal ihres

Begriffes. So mehr oder minder Ratzel

1

, Kirchhoff, auch Staatsrechtslehrer wie

Richard Schmidt

2

. Siebenbürgen, als einheitlicher Raum, zählt aber mehrere

Nationen. Es ist überhaupt eine grobe Art, die höchsten menschlichen Schöp-

fungen als Reflexe der äußeren Lebensaufgaben, die Boden und Klima stellen,

zu betrachten, welche schon von B a g e h o t

3

zurückgewiesen wurde.

4 .

G e m e i n s a m e K u l t u r u n d Ü b e r l i e f e r u n g

stellt von den Neueren in den Mittelpunkt F r i e d r i c h J u l i u s N e u m a n n .

Nach ihm ist die Nation „eine Bevölkerung, die infolge höherer eigenartiger Kul-

turleistungen ein eigenartiges, gemeinsames Wesen gewonnen hat, das sich auf

weiteren Gebieten von Generation zu Generation überträgt“

4

. Schon S c h i l l e r ,

W i l h e l m v o n H u m b o l d t , F r i e d r i c h L u d w i g J a h n , F i c h t e

und andere stehen auf diesem Boden. Fichte sagt: „Volk ist das Ganze der in

Gesellschaft... sich ... natürlich und geistig erzeugenden Menschen .. .“

5

. Diese

Gemeinschaft wird zum Volk erst eigentlich als „Träger und Unterpfand der

irdischen Ewigkeit“, das heißt als Verkörperung höchster Kulturwerte

6

. Ähnlich

manche neueren Schriftsteller. Es ist dies eine Begriffsbestimmung, die jeden-

falls auf dem Boden der Wahrheit steht, weil sie unendlich mehr erklärt, als

Staat, Sprache, Rasse als alleinige Merkmale erklären können. In solcher Form

ist sie aber noch zu unbestimmt, als daß man sie exakt verwenden könnte. Denn

einmal ist der Umfang und Grad eines „eigenartigen gemeinsamen Wesens“

(N e u m a n n) auf Grund „eigenartiger Kulturleistungen“ nicht fest begrenzt,

das heißt der Kulturbegriff offen gelassen; was aber der wichtigste Mangel dieser

Gruppe von Begriffserklärungen ist: es fehlt jede grundsätzliche Verhältnis-

bestimmung zu Staat, Sprache, Rasse, die doch gewiß in organischer Verbindung

mit der Nation stehen. Ferner aber stehen dieser Ansicht jene Völker gegenüber,

die man nicht mit Unrecht „Staatsnationen“ genannt hat ( H o l l a n d , zum Teil

auch die S c h w e i z ) . Hier scheint die Kulturgemeinsamkeit zu versagen.

1

Friedrich Ratzel: Anthropogeographie, 2. Aufl., Stuttgart 1912.

2

Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften, Abteilung 3, Bd 1: Richard

Schmidt: Allgemeine Staatslehre, Leipzig 1901, S. 132 ff.

3

Walter Bagehot: Der Ursprung der Nationen, Leipzig 1874, S. 97 ff. (= In-

ternationale wissenschaftliche Bibliothek, Bd 4).

4

Friedrich Julius Neumann: Volk und Nation, Leipzig 1888, S. 74, hier-

selbst auch die gesamte ältere Literatur und sorgfältige Zusammenstellung des

Tatsächlichen.

5

Johann Gottlieb Fichte: Sämtliche Werke, herausgegeben von Immanuel

Hermann Fichte, 3 Abteilungen, 8 Bde, Bd VII: Zur Politik, Moral und Philo-

sophie der Geschichte, Berlin 1845, daraus: Reden an die deutsche Nation (1807

bis 1808), achte Rede, S. 381. — Vgl. auch Friedrich Ludwig Jahn: Deutsches

Volkstum (1810), Leipzig 1896, S. 34 ff. (= Meyers Volksbücher, Nr. 1132—1135).

6

Johann Gottlieb Fichte: Sämtliche Werke, Bd VII, . . . , S. 384.