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das heißt ständischen Organisationen zusammengefaßt werden müs-
sen, die jedoch so frei beweglich sein müssen, daß die Führerleistung
und die Bewegungsfreiheit (Elastizität) nicht vernichtet werden (wie
in der kommunistischen Wirtschaft), sondern aufrecht erhalten blei-
ben. Hier kommt es uns auf die Einsicht an: daß in einem solchen
Wirtschaftsgefüge auch die Sozialpolitik ein anderes Gesicht, andere
Voraussetzungen erhalten muß. Sie wird, wie nun klar ist, nicht
mehr vom Staate, also nicht mehr zentralistisch, vorgeschrieben
werden. Der Staat wird allerdings nicht ausgeschaltet: aber er wird
sich immer mehr auf überwachende, o b e r l e i t e n d e Aufgaben
beschränken, sofern die einzelnen Stände sozialpolitische Maßnah-
men nun in ihrem Rahmen durchführen. Allenfalls wird er auch
s t e l l v e r t r e t e n d eingreifen, dort nämlich, wo die Beruf-
stände zu versagen drohen. (Die Sozialpolitik Bismarcks war ja eine
stellvertretende.) Im übrigen aber werden und müssen die Beruf-
stände je nach ihrer Eigenart vorgehen und können daher die
zentralistische, bürokratische, formalistische, gleichmachende und
klüngelhaft überwuchernde Art der heutigen Sozialpolitik vermei-
den. Sie können das durch den dezentralistischen Aufbau, der in den
Berufständen von selbst gegeben ist. Denn die einzelnen Beruf-
stände werden ja nicht nur nach ihrer verschiedenen wirtschaft-
lichen, sondern auch nach ihren persönlichen und sittlichen Ver-
hältnissen verschiedene Hilfen für die in Erfüllung ihrer Verrich-
tungen bedrohten Wirtschafter treffen. In ihrem Bereiche wird sich
am ehesten auch jene Gemeinbürgschaft und jene (nur in engeren
Verbänden mögliche) individualisierende Überwachung herausbil-
den, die dem redlichen Arbeiter wieder zu seinem Rechte verhilft.
Schon in meinem „Wahren Staate“
1
machte ich darauf aufmerk-
sam, daß in den letzten Jahrzehnten allen liberalistischen Theorien
zum Trotze die Sozialpolitik selbst schon Wege eingeschlagen hat,
welche deutlich die Richtung zu b e r u f s t ä n d i s c h e r B e s o n -
d e r u n g u n d z u r s t ä n d i s c h e n S e l b s t v e r w a l t u n g
erkennen lassen! Zuerst hat der Staat nur gesagt, was nicht getan
werden darf, als er z. B. eine den „Normalarbeitstag“ überschrei-
tende Arbeitszeit, oder als er gewisse Fälle der Frauen- und Kinder-
arbeit, gewisse / Lohnzahlungsweisen (das Trucksystem) und ähn-
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Vgl. mein Buch: Der wahre Staat (1921), 4. Aufl., Jena 1938.