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IL Die Umgliederung als Urweise der Ganzheit in der Zeit
Lehrsatz 1: Die Ausgliederung des Ganzen in der Zeit hat die
Weise der Rücknahme (Reduktion) und Neuausgliederung (Repro-
duktion) oder der Umgliederung.
Umgliederung ist die Urweise (Urkategorie) der Ganzheit in der
Zeit. Sie vollzieht sich im Fortgange von Rücknahme und Neuaus-
gliederung. Wir haben das an anderer Stelle dargelegt und verweisen
darauf
1
. Nur das Entscheidende sei hier wiederholt.
Die Ausgliederung der Ganzheit vollzieht sich der Wirklichkeit
nach nicht zeitlos. Jedes ausgegliederte Ganze zeigt Veränderungen,
zeigt Werden und gehört dadurch der Zeit an. Das Wesen des Wer-
dens will aber nicht bloß von der Oberfläche her gesehen, es will in
seiner Tiefe erfaßt sein. Wer den mechanischen Begriff des Seins und
Werdens nicht überwunden hat, wird vergeblich an die Pforte der
Geschichtsphilosophie klopfen.
Das Werden besteht aus Entstehen und Vergehen. Zuerst gilt es,
das Wesen des Vergehens zu erklären. Das Sein vergeht nicht da-
durch, daß die Atome ihre Verbindung wechseln (wie die Physik
lehren zu dürfen glaubt); das Vergehen ist Rückgang in den Grund.
Vergehen besteht darin, daß das Sein zurückgenommen wird. Man
pflegt sich das Sein immer nur als Bestehen eines gleichsam Festen
vorzustellen, das in sich selbst unverändert bleibt, während es die
Verbindung wechselt, wofür dann allerdings das unvernichtbare
Atom das richtige Bild ist. Demgemäß stellt man sich das Werden
und Vergehen etwa wie ein vorüberziehendes Heer im Schauspiel
vor, wo immer neue Krieger kommen, während die alten sich ent-
fernen / und hierauf in anderer Verbindung wiederkehren. Die Krie-
ger vergehen dabei in Wahrheit nicht, was vergeht, ist ihre Zu-
sammenstellung.
Diese Vorstellung ist von der Wurzel auf falsch. Richtiger schon
würde man sich das Werden und Vergehen nach dem äußeren An-
blicke eines Blitzes in der Nacht vorstellen, der aus dem Dunkel
entspringt und wieder ins Dunkel zurücksinkt. Alles Seiende ver-
geht nur dadurch, daß es in seinen Grund, seine Wurzel zurück-
genommen wird, daß es in das Nichtsein versinkt; und es entsteht
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Siehe mein Buch: Kategorienlehre (1924), 2. Aufl., Jena 1939, S. 197 ff.
[3. Aufl., Graz 1969, S. 182 ff.].