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I h r e T u g e n d l e n k t d i e S o n n e
U n d e r h ä l t d i e E r d e a u f r e c h t . . .
1
Und umsonst ist nicht ihr Wirken,
Ew’gen Nutzen schafft ihr Wandel,
Weil sie stets sich selbst bezwingen
S i n d s i e a u c h d i e W e l t e r h a l t e r “
2
.
Nach vergröbernder Auffassung oder Versinnbildlichung vieler
Mythen wird sogar aus den Gliedern des makrokosmischen Men-
schen das All gebildet.
Nach Diodor ist der ägyptische Osiris als Urmensch aufzufassen
3
.
Ebenso sind Dionysos, Adonis, Ymir solche Urmenschen und zu-
gleich das Alleben
4
, desgleichen bei den Chinesen der erste Mensch
Fohi
5
. Auch ist der Urmensch in seiner Göttlichkeit der Inbegriff
aller Menschen, so nach mandäischer und / manichäischer Lehre
6
;
ebenso der indische Totengott Yama, mit dem die Verstorbenen
(die Väter) in lichter Himmelsregion zusammenwohnen, „der starb
als der erste der Sterblichen, als erster hinging zu diesem Orte“.
Nach dem jüngeren Avesta unterstützen die Fravashi, deren Inbe-
griff als Urmensch aufgefaßt werden kann, Ahura Mazdah bei der
Erschaffung von Himmel und Erde
7
.
Auf andere Weise spiegeln dasselbe die Mythen von der gött-
lichen Abstammung ganzer Völker ab. Dem entspricht dann der
S t a m m e s - u n d N a t i o n a l g o t t (von dem das Volk ab-
stammt), wofür Jahwe im Pentateuch ein klassisches Beispiel bie-
tet
8
. Vielleicht auf Völkermischung gehen dann zurück die My-
1
Die letzte Zeile wörtlich: „Die Guten tragen durch ihre Buße die Erde“,
nach Hermann Camillo Kellner: Savitri oder der Triumph ehelicher Treue, Leip-
zig ohne Jahr, S. 55.
2
Deutsch von Ernst Meier: Morgenländische Anthologie, Leipzig 1880, S. 72.
3
Die Nachweise bei Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, Bd 2, Braun-
schweig 1907, S. 56 ff. — Ähnlich Plutarch: Über Isis und Osiris, S. 49.
4
Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, S. 58, 71, 79, 82 und öfter;
Bertholet-Lehmann: Lehrbuch der Religionsgeschichte, Bd 2, 4. Aufl., Tübingen
1925, S. 593 und öfter.
5
Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, S. 123.
6
Wie Richard Reitzenstein nachwies, in: Das iranische Erlösungsmysterium,
Bonn 1921, S. 119 ff., 134 und öfter. Nach Reitzenstein ist der „Menschensohn“-
Vertreter der Menschheit oder der Urmenschen — ein uriranischer Begriff.
7
It. 13, 2; 9; vgl. It. 13, 22. — Vgl. Hermann Lommel: Die Religion Zara-
thustras, Tübingen 1930, S. 153.
8
Vgl. darüber den Pentateuchtheologen Oskar Goldberg: Die Wirklichkeit
der Hebräer, Berlin 1925, S. 14 ff., 32 ff., 71 ff., 141 ff. und öfter.