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c. F r e i h e i t u n d P e r s ö n l i c h k e i t
Das Christentum entwickelt wie den höchsten Begriff vom Wert
des Menschen, so auch den höchsten Begriff seiner inneren Freiheit
und Persönlichkeit. Aus dem Begriff Gottes als Geist, der im Geist
und in der Wahrheit anzubeten sei und der damit verbundenen Gott-
verwandtschaft entsteht in der Folge nichts Geringeres als der Be-
griff der geistigen Freiheit und der Persönlichkeit.
Wo der menschliche Geist der ganzen Größe des göttlichen Geistes
inne wird und nicht den in bestimmten Wirksamkeiten verstrickten
und eingeengten Göttern gegenübersteht, dort kann und muß er
seiner eigenen Geisteskraft klar innewerden. Und das / beschränkt
sich nicht auf Philosophie und Theologie, sondern gesteigerte Aus-
bildung der Persönlichkeit, erhöhte innere Freiheit ist die r e a l e
Folge.
Um alles in einem Wort zu sagen: es liegt im mystischen Bewußt-
sein eine gewisse Antinomie von B e s t i m m t w e r d e n des
menschlichen Geistes durch Gott, Untertauchen im Meer der Gott-
heit, also Unfreiheit einerseits, persönlicher F r e i h e i t , Selb-
ständigkeit andererseits. Auch im reflektierenden Bewußtsein zeigt
sich derselbe Gegensatz als (empirische) Notwendigkeit und innere
(ideelle) Freiheit des Geistes. Doch ist diese als „Willensfreiheit“ be-
zeichnete, viel erörterte, hier nicht weiter zu verfolgen. Nur das eine
sei als entscheidend hervorgehoben: Die Befaßtheit im göttlichen
Geist b e s t i m m t nicht nur den menschlichen Geist, sie s t e i -
g e r t ihn zugleich unendlich, und damit sein geheimstes und eigen-
stes Vermögen, die Freiheit. Freiheit ist, von der Befaßtheit oder
Rückverbundenheit her verstanden, nur eine Seite der Selbstsetzung,
der Spontaneität, des Schaffens, welches aber im menschlichen Geist,
da er vom göttlichen befaßt und insofern unaufhörlich neu geschaffen
wird, ein S c h a f f e n a u s G e s c h a f f e n w e r d e n ist. Das
stete Gesetzt- oder Geschaffenwerden des menschlichen Geistes durch
Gott ist die letzte r e a l e Voraussetzung der menschlichen Frei-
heit.
In empirischer Form zeigt sich diese Realität deutlich an der be-
stimmten Art der B e g a b u n g der einzelnen Menschen.
In diesem Sinne ist zu verstehen Johannes 1, 12: „Die ihn (Chri-
stum) annahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“