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„Denn welche der Geist treibt, die sind Gottes Kinder“

1

. „Der Geist ist’s, der

da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze“

2

.

„Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist: denn der Geist erfor-

schet alle Dinge, a u c h d i e T i e f e n d e r G o t t h e i t “

3

. „Der natürliche

Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und

kann es nicht erkennen. . . .“

4

.

/

Auf diesem Grund baute Meister Eckehart: „Da Gott den Menschen schuf, da

wirkte er in der Seele sein ihm gleiches Werk, sein wirkendes und sein immer

währendes Werk. Das Werk war so groß, daß es nichts Geringeres war als die

Seele: die war das Werk Gottes. Gottes Natur, sein Wesen und seine Gottheit

hängen daran, daß er muß wirken in der Seele“

5

. „Nirgends ist Gott so eigent-

lich Gott als in der Seele“

6

. „Wer eine Seele messen will, der soll sie nach Gott

messen, denn der Grund Gottes und der Grund der Seele sind ein Wesen“

7

. —

„. .. Wo Gott ist, da ist die Seele und wo die Seele ist, da ist Gott“

8

.

Das Große an dieser Lehre Eckeharts ist, daß er nicht, wie

manche Richtungen des Buddhismus und des jüngeren Vedanta in

P h ä n o m e n a l i s m u s verfällt, welchem sowohl die Welt wie

auch das Ich, die Seele, bloße Erscheinung, Illusion ist (radikale

Mayalehre), was in sittlicher Hinsicht zum absoluten Quietismus

führt: vielmehr hält Eckehart durch vertiefte Deutung der mysti-

schen Erfahrung und das Christentum ganz allgemein durch den

S c h ö p f u n g s g e d a n k e n die Seele in ihrem transzendenten

Sein, wie in ihrer unzerstörbaren Individualität fest. Gewiß ist das

zum Teil schon Philosophie und nicht mehr Religion. Aber im Chri-

stentum ist die Richtung auf dieses Ziel des Denkens von Anbeginn

vorgebildet, während es die absolute Phänomenalitäts- oder Maya-

lehre sowie die daraus folgende Verneinung aller realen Vielheit, da-

her auch der realen Individualität der Seele oder Persönlichkeit, end-

lich den sich daraus in sittlicher Hinsicht ergebenden absoluten In-

differentismus oder weltfeindlichen Quietismus und Nihilismus sei-

nem Wesen nach ausschließt. Gerade hierin erweist sich das Chri-

stentum solchen philosophischen Neigungen des südlichen Buddhis-

mus und des späteren Vedanta entschieden überlegen.

1

Römerbrief 8, 4.

2

Johannes 6, 63.

3

Korintherbrief 2, 10.

4

Korintherbrief 2, 14.

5

Franz Pfeiffer:Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 179, Zeile 32—36.

6

Franz Pfeiffer:Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 230, Zeile 36.

7

Franz Pfeiffer:Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 467, Zeile 14 f.

8

Predigt 10 bei Joseph Quint: Meister Eckhart, Deutsche Predigten und

Traktate, Bd 1, München 1955, S. 173, Zeile 7; Franz Pfeiffer: Meister Eckhart,

Leipzig 1857, S. 267, Zeile 12.