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Nach allem früher Gesagten können wir uns im folgenden auf die
Erläuterung der wichtigsten Punkte beschränken.
1. Schöpfung
Der geistige Gottesbegriff des Christentums verhindert es, in na-
turalistische Schöpfungslehren zu verfallen. Es gibt für das Christen-
tum keine Emanationslehren und auch keine Theogonien wie im
Heidentum, denen zufolge das Werden der Götter / zugleich das
Werden der Welt wäre; das Christentum lehrt auch in keiner Weise,
daß sich die Welt blindlings aus einem Chaos, Ur-Ei oder einem an-
deren Anfangszustand entwickelt hätte; demgemäß kennt es auch
keine daraus entstandenen kosmischen Teilmächte oder Götter. Viel-
mehr entwickelt es einen echten Schöpfungsbegriff auf mystischer
Grundlage.
„Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott
war das Wort“
1
.
Mit diesen zu Unrecht als dunkel empfundenen Ausdrücken er-
klärt es Gott in seinem schlechthin geistigen Schöpfertum, und zwar
als Gedanken, der sich im Wort (Gottes) realisiert, was die mystische
Erfahrung wohl zu deuten weiß
2
. Und dieses Schöpfungswort ist
auch jetzt noch wirksam.
Indem das Christentum demnach dem Menschen Gott in seinem
freien Schöpfertum vorstellte, versenkte es die schaffende Gottheit
nicht, wie so vielfach der Polytheismus, in einen Weltprozeß, weder
einen geistigen noch einen physischen. Darum kann es andererseits
auch das menschliche Schaffen als f r e i e innere Tat begreifen. Al-
lerdings als solche, welche an die Anregungen von oben, das heißt an
das stete Geschaffenwerden des Menschen von Gott gebunden ist.
Gott ist reines Schaffen, der Mensch ein Schaffen aus Geschaffen-
Werden.
Der geläuterte Gottesbegriff des Christentums im Vereine mit der
hohen Stellung, die es dem Menschen anwies, eröffnete erst die tief-
sten Fragen des Schöpfungsbegriffes. Schon die einfache Lehre, Gott
habe die Welt durch seinen „Willen“ erschaffen, geht über alle an-
1
Johannes 1, 1.
2
Statt Wort „Logos“ im Sinne eines Weltgeistes zu setzen, wäre falsch, wie
wir später noch auseinandersetzen werden, siehe unten S. 408.