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401

2.

Da eine Religion ohne Kultus und Gebet nicht möglich ist, fragt

es sich, wie sich das geläuterte Gottesbewußtsein in Kultus und Gebet

auswirkte.

Nach anfänglichem Schwanken bildete sich als Kern des K u l -

t u s bekanntlich das katholische Meßopfer heraus. Später übten die

protestantischen Bekenntnisse einen noch weit einfacheren Kultus.

Der Kultus beider Bekenntnisse bildet aber die Erlösungstat Christi

ab und wurde spirituell (Weltordnung = Kulturordnung — Rechts-

ordnung)

1

.

Ebenso wichtig wie der Kultus ist das G e b e t . An die Stelle des

heidnischen Götterzwanges, der Beschwörungen, der unzähligen An-

rufe und Bitten der Heiden an Götter, Halbgötter, Dämonen, Gei-

ster und Tiere trat nun ein verinnerlichtes Gebet, beherrscht von

e i n e m Haupt- und Grundgebet, welches der Stifter des Christen-

tums selber lehrte, dem Vaterunser. Dieses bittet im ersten Teil um

die Teilnahme am Reich Gottes bei Ergebung in Gottes Willen, im

zweiten um das tägliche Brot — welches aber mystisch als das „über-

wesentliche Brot“ erklärt wird

2

— und um Vergebung der Sünden,

soweit wir selbst anderen vergeben. Dieses Gebet führt den höchsten

geistigen Begriff von der Gottheit durch, ohne doch den Menschen

von ihr zu entfernen, wie es in manchen mystischen Tendenzen liegt,

sofern sie nämlich alles Kreatürliche hinter sich lassen; auch ohne den

Begriff Gottes zu vernichten, wie es pantheistische Richtungen tun.

Es faßt die Bedürfnisse unseres Lebens in einen kurzen Inbegriff zu-

sammen, der dem höheren und dem niederen Geist gleich sehr ge-

nügt.

/

Christus lehrte damit, wie sein Wort, Gott im Geist und in der

Wahrheit anzubeten, durchzuführen sei.

3.

Aus dem neuen Aufblick zum Ewigen, den Christus die Mensch-

heit lehrte, ergab sich auch eine neue Auffassung vom Leben und

seinen Pflichten, eine neue S i t t e n l e h r e. Es ist der Geist der

Gottesliebe, welcher aus dem neuen Verhältnis zu Gott folgt, daraus

wieder der Geist der Menschenliebe und der Vergebung. Die Gottes-

liebe wird, so betrachtet, gleichsam zum heimlichen Quellpunkt der

Sittlichkeit. (Vergottung zugleich ein Liebeswerk.)

1

Vgl. oben S. 270 ff.

2

Vgl. Meister Eckehart: Lateinische Schriften, deutsch von Ernst Benz, Bd 5,

Stuttgart 1937, S. 118.

26 Spann, Religionsphilosophie